Seltene „Je suis Raif Badawi“-Schilder

Alle die ausdrücken wollen ‚Blutvergießen für Meinungsdiktatur ist unverzeihlich!‘ sind Charlie. Seit dem grauenhaften Attentat vor einigen Tagen; dem unverzeihlichen, unerklärlichen, grundlosen Gemetzel. „Je suis Juif“-Schilder für die Opfer der Geiselnahme einen Tag später sind schon seltener; „Je suis Baga“ nach dem von Boko Haram ausgelöschten Dorf habe ich überhaupt nur ein einziges Mal gesehen.

Dabei sollte diese Idee der „Je-Suis-„Solidarität unbedingt weitergetragen werden. Die Idee der Identifikation mit den Gewaltopfern: was ihnen angetan wurde geht mir nahe, das nehme ich persönlich, das ist mir unerträglich. Es wäre schade wenn das in einer Einmalaktion verpufft und nichts ausrichtet.

Ein Fall in dem Einsatz tatsächlich etwas ausrichten könnte ist der des saudischen Bloggers Raif Badawi. Anders als bei den Bluttaten oben käme dem „Je-Suis-…“-Schild hier nicht die Funktion des Chors in der griechischen Tragödie zu, der als tragisch besingt was nicht mehr zu ändern ist: Raif Badawi ist noch am Leben. Auch hier geht es um das islamische (nicht-)Verständnis von Meinungs-, Glaubens- und Gewissensfreiheit. Das zur Gewalt gegen diejenigen führt denen diese Rechte zustünden. Gewalttäter am austeilenden Ende ist hier der Staat Saudi Arabien; am austeilenden Ende von eintausend Peitschenhieben. Eintausend Peitschenhiebe – ein zu-Tode-foltern auf Raten: grausam, erniedrigend, unmenschlich.

Und wofür? Zitate die ich gefunden habe sind von einer nahezu erschreckenden Harmlosigkeit, etwa: Für mich ist Liberalismus schlicht: leben und leben lassen. Es ist ein prächtiges Motto. Allerdings braucht der Liberalismus, besonders die saudische Variante, eine Aufklärung. Entscheidend ist es, seine Eigenschaften und seine Rahmen zu skizzieren. Vor allem deshalb, weil die Gegenseite die ganze Wahrheit für sich beansprucht und damit die wahre Bedeutung des Wortes Liberalismus diskreditiert, ohne sie überhaupt zu kennen.“

Genauso harmlos wie die Zeichnung eines Mohammeds mit Träne im Augenwinkel. Genauso sollte hier die Frage gestellt werden, wie die unerträgliche Gewaltreaktion darauf beendet werden könnte; möglichst schnell, möglichst umfassend und möglichst endgültig. Nun gab es schon einige Mahnwachen vor saudischen Botschaften – hoffentlich werden es mehr. Und der Blogger, wie die Zeichner, bringt nicht erst als Toter Tausende auf die Straße.

(Nachzulesen z.B. hier: http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-01/raif-badawi-blogger-saudi-arabien ; das Zitat habe ich bei Stern.de gefunden.)

Veröffentlicht am Januar 18, 2015 in .Nahost, Kein Smalltalk und mit , , getaggt. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 66 Kommentare.

  1. Hast recht. Zumal Badawi – anders als die Karikaturisten – niemanden beleidigt oder lächerlich macht, sondern soweit ich weiß nur für Selberdenken und Meinungsfreiheit plädiert hat. Er hat sich dafür eingesetzt, dass man in Saudi-Arabien wenigstens einen winzigen Teil der Freiheit hat, die die Charlie-Hebdo-Leute wie selbstverständlich nutzen. Ein Staat, der das als Terrorismus ansieht und sich dadurch beleidigt fühlt, ist ein armseliges Gebilde.

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  2. Dabei weiß ich nicht einmal, ob man bei Charlie Hebdo von Beleiddung sprechen muss, Geschmack hin oder her. Mir geht es eher darum, dass Badawi nun wirklich niemanden beleidigt oder herabgesetzt hat, soweit ich weiß. Außer natürlich, die Feststellung, man glaube etwas anderes oder sei lieber nicht religiös oder hätte wenigstens gern die Möglichkeit dazu ist schon eine Beleidigung. Das zeugt dann von wahnsinnig gesundem Selbstbewusstsein bei den Saudis…

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  3. Danke zuerst dafür, dass Du Raif Badawi nicht nur erwähnst, sondern ihm einen Artikel widmest. Das geht mir nah, weil Raif mir nahe geht. (Idiotisch, aber ich wüsste gern, was sein Name bedeutet. Meine Art, mir Menschen anzuverwandeln.)

    « Je suis Raif Badawi »: Wird das Saudi-Arabien beeindrucken? Auf jeden Fall zeigen, dass uns das Schicksal des Verurteilten nicht gleichgültig ist, dass der Westen genau verfolgt, was die Henker tun.

    Nathan Sharansky, der sowjetische Refuznik (Assír Zijon), der 9 Jahre in KGB-Gefängnissen und in sibirischen Lagern gesessen hatte, weil er für das Auswanderungsrecht der Juden gestritten hatte, sagte nach seiner Befreiung, dass ihn die Solidarität der Leute weltweit seelisch und vermutlich auch physisch gerettet hätte. Allein zu wissen, dass er irgendwem unter dem Himmel was bedeutet, war ungeheuer viel.

    Also ist das Schildchen sinnvoll. Dazu der Protest vor der saudi-arabischen Botschaft. Es geht schließlich um Politik, nicht? Nicht um Mitleid allein.

    Das betone ich jetzt, weil mir eine Analyse des Soziologen Shmuel Trigano nicht aus dem Kopf geht. Ein niederschmetternder Essay. Was schreibt er unter anderem?

    Le mot d’ordre « Je suis Charlie » signifie exactement que l’on revendique la place du mort comme une dignité en vertu d’une compassion sacrificielle face aux assassins. Cette foule immense n’a pas déclaré la guerre aux islamistes, elle n’a pas identifié les terroristes pour ce qu’ils sont. On peut même avancer que l’objectif inconscient de ce rassemblement était de ne pas les identifier comme tels, du fait du coût symbolique que cela représente pour les illusions des 30 dernières années (exactement depuis la venue au pouvoir des socialistes qui voulaient « changer la vie »), mais plutôt de s’identifier aux victimes, dont on ne sait pas clairement de qui elles le sont puisque l’agresseur n’est pas clairement identifié.

    Freie Übersetzung:
    [Die Losung « Je suis Charlie » bedeutet ganz genau, dass man in einem Akt der Identifizierung mit dem Opfer den Platz des Toten gegenüber den Mördern beansprucht. Diese Riesenmenge hat den Islamisten nicht den Krieg erklärt, sie hat die Terroristen nicht als solche ausgemacht. Man kann sogar behaupten, dass das unbewusste Ziel dieser Versammlung gerade darin bestand, die Terroristen nicht zu benennen, um die Illusionen der letzten 30 Jahre nicht zu gefährden. Es ging vielmehr darum, sich mit Opfern zu identifizieren, von denen man nicht klar weiß, was sie zu Opfern gemacht hat, da man dazu den Angreifer beim Namen nennen müsste.]

    Triganos Schlussfolgerung? Es wird nicht nur weiter gehen, es wird schlimmer werden. Wir wollen und wollen die Lage nicht erkennen: zu teuer; seelisch und gesellschaftlich zu teuer. Feigheit wird auch nicht billig kommen.

    „Nein zum Islam!“: Die Losung schafft keiner. Schau, was schon den Pegida-Leuten geschieht, von denen man nicht einmal weiß, wie entschieden sie den Islam ablehnen.
    Ja, auch ich bin dazu zu feige. Ebenso gut könnte ich mit einem „Es lebe Israel“-Schild herumlaufen. Woran man erkennt, dass beide Aussagen zusammenhängen, nicht?

    Du verlangst das Ende der harmlosen Reaktionen, ja? Das würde Trigano gefallen.

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    • Danke für Triganos Artikel, liebe Schum. Er sagt mir auf den Kopf zu, wovor ich seit dem Pariser Massaker vage zurückgeschreckt war, nämlich (erster Gedanke) vor der Feststellung, dass mich an der massenhaften Manifestation des Schilds „je suis Charlie“ etwas stört: Just (zweiter Gedanke) dieses Totseinwollen, dieses Mit-Geschlachtetsein und Mit-Totsein, indem man selbst real nicht tot ist.
      Tausende tragen das Mit-Totsein „je suis Charlie“, eine musikalische Zeile, vier Silben mit Reim, eingängig und ein populärer Vorname darin, fehlt nur der dritte Reim: „…fini“.

      Was daran so gar nicht stimmt: Dass Schildträger nicht tot sind.
      Die Identifikation mit den Toten, um von den Tätern abzulenken, schreibt Trigano. Damit sagt er, was man nicht hören mag – weil es wahr ist.
      Ähnlich wie mit den Beteuerungen, man trauere so um jene Juden, die der Nazismus ermordet hat, dass man am Liebsten selber diese Toten wär‘.
      Das Totseinwollen als Gedenkkultur – –

      Raif Badawi hingegen ist NICHT tot. Er lebt und leidet. Die Saudis wollen ihn zu Tode quälen, ganz langsam. Noch ist er nicht tot! Raif Badawi wird TOT SEIN, wenn die Saudis diese abstoßende, sadistische Strafe an ihm vollstrecken, der Tod kommt zu ihm auf Raten, jedes Mal wird er ein bisschen toter sein.

      Täter hier, Täter da. Diese saudischen Täter sind die gleichen Täter wie die Massakreure von Paris. Diese Täter hatten einen schnellen Erfolg; jene saudischen Täter wünschen sich einen langsamen, um so grausameren Triumph.
      Weil das nicht sein DARF!, werd ich von nun an immer, wenn „je suis Charlie“ wieder auftaucht, darauf hinweisen, auf das Eine, und auf das Andere.

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      • An diesem „Je suis Charlie“-Schild ist noch ein Aspekt. Wer tot ist, ist unangreifbar, weil Alles hinter ihm liegt. Ihm kann die Jugend in den banlieues das Leben nicht mehr chwer machen, ihn kann keine Charia mehr erschrecken, er ist jenseits der Angst. So zumindest die Hoffnung der Möchtegern-Toten.
        Also nicht nur, dass er sich den Tätern nicht stellen muss, er muss die Folge der Feigheit nicht befürchten. Er ist schon tot. Zwei Gewinne auf einmal.

        Ich will mich morgen hinsetzen und „meinen“ Abgeordneten bitten, sich für Raif Badawi zu verwenden.

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  4. Shmuel Trigano, « Le 11 janvier : un évènement inquiétant », JForum, 16.01.2015

    http://jforum.fr/?p=1031255

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  5. Hier der Brief an MdB Martin Pätzold (CDU)

    Sehr geehrter Herr Pätzold,

    Sicher haben Sie vom saudischen Blogger Raif Badawi gehört, der wegen „Beleidigung des Islams“ zu 1000 Peitschenhieben auf Raten verurteilt worden ist. 50 hat er vor zwei Wochen in Dschidda nach der Freitagspredigt in aller Öffentlichkeit bekommen. Was das an Schmerzen und Erniedrigung bedeutet, kann man sich schwer vorstellen, nicht?

    In einem ZDF-Morgenmagazin hat EU-Parlamentspräsident Martin Schulz an Saudi-Arabien appelliert, „diese mittelalterlichen, archaischen Methoden“ zu lassen, um „ein glaubhafter Partner für uns [zu] sein“.

    Worum ich Sie bitte, sehr geehrter Herr Pätzold: sich nicht zufrieden zu geben mit dieser einen Äußerung zu Badawis Gunsten. Bitte achten Sie darauf, dass Badawis Name so lange im Gespräch bleibt, bis der junge Mann begnadigt worden ist. Vielleicht können Sie eine Petition des Deutschen Bundestages initiieren.

    Es geht um dieselbe Meinungsfreiheit, die vor anderthalb Wochen Millionen von Menschen weltweit mobilisiert hat. 12 Charlie-Mitarbeiter sind tot, für sie kann niemand was tun. Doch Raif Badawi lebt, für ihn lohnt es sich, was zu unternehmen; und zwar schnell.

    Bei Wikipedia steht, dass Sie in Lichtenberg an der Martin-Niemöller-Grundschule und am Stauffenberg-Gymnasium gelernt haben. Sicher ein gutes Omen. Sie werden einem Opfer des Totalitarismus helfen wollen.

    In dieser Hoffnung verbleibe ich
    mit freundlichen Grüßen

    http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-01/saudi-arabien-martin-schulz-kritik

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  6. Zu Schawua-tow eine scharfe Karikatur von Tchodessin : « La couverture que Charlie n’osera jamais » ‒ Das Titelbild, das Charlie nie wagen wird.

    Beschreibung:
    Charia-Hebdo-Titelbild: Mohammed lachend vor hellgrünem Hintergrund, Schild vor der Brust: „Je suis Coulibaly“

    Ihr erinnert Euch? Der schwarze Amedy Coulibaly hat im HyperCacher gemordet, nicht bei Charlie. Eine zusätzliche Anspielung von Tcho (Tchodessin)? Gerade diese Toten haben die jetzigen Charlie-Mitarbeiter ebenso wenig interessiert wie sie Charb & Co. interessiert hätten. Hm.

    Bild auf:
    http://ripostelaique.com/la-couverture-que-charlie-nosera-jamais-declaration-exclusive-de-mahomet/

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    • Kann es sein, dass sich die Zeichnerin für „Je suis Coulibaly“ entschieden hat, weil „Je suis Saïd et Chérif Kouachi „ oder „Je suis les frères Kouachi“ sprachlich nicht gut kommt?

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    • Aus:
      Pierre Régnier, Arabie Saoudite : Raïf Badawi a reçu ses 50 premiers coups de fouet – Raïf Badawi hat seine ersten 50 Peitschenschläge bekommen, Riposte Laïque, 19.01.2015

      Wiedergabeversuch:

      In einem islamischen, mit Frankreich befreundeten Land, hat am 9. Januar Raïf Badawi seine ersten 50 Peitschenschläge bekommen. Unterdessen war Amedy Coulibaly in Vincennes mit seiner mörderischen Geiselnahme beschäftigt, die laut dem Präsidenten und den Medienpapageien mit dem Islam so wenig tun hat wie die Massaker im Charlie Hebdo und in Montrouge.
      Als ich das erfuhr, drängte es mich, dieses Gedicht aufzuschreiben:

      Je suis ASIA BIBI
      je suis RAÏF BADAWI
      je suis HAMZA KASHGARI
      je suis les millions d’autres
      fouettés pendus lapidés égorgés
      depuis 14 siècles au nom du Dieu Allah
      je suis celui qui dans chacune de ses plaies
      reçois le coup plus douloureux que tous les autres
      le coup qu’apportent ici les ondes le coup qui vient de l’Elysée
      le coup de la propre et correcte barbarie qui va m’achever
      sous les applaudissements là-bas des foules fanatisées
      par ces versets mensongers de leurs gouvernants :
      ça n’a absolument rien à voir avec l’islam
      qui n’est que paix amour et tolérance.

      Ich bin ASIA BIBI
      Ich bin RAÏF BADAWI
      Ich bin HAMZA KASHGARI
      Ich bin die Millionen anderen
      Ausgepeitschten, Aufgehängten, Gesteinigten, Aufgeschlitzten
      im Namen des Gottes Allah seit 14 Jahrhunderten
      Ich bin derjenige, der in jede seiner Wunden,
      den Schlag erhält, noch schmerzlicher als die anderen
      den Schlag von den westlichen Medien, den Schlag vom Elysée-Palast
      den Schlag der sauberen und korrekten Barbarei, der mich vernichten wird
      Klatschen die Mengen dort Beifall
      Die Belogenen und Betrogenen:
      Das hat mit Islam nichts zu tun
      Islam ist Liebe und Frieden.

      http://ripostelaique.com/arabie-saoudite-raif-badawi-a-recu-ses-50-premiers-coups-de-fouet/

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  7. Im vorigen Tora-Abschnitt „Bo“ (Komm!) mit Jezi’át Mizrájim, dem Auszug aus Ägypten, kommen über die Ägypter die drei letzten Makót (von Maká: Schlag; nicht „Plagen“, sondern „Schläge“): Arbé (Heuschrecken), Chóschech (Finsternis) und Makát ha-Bechorót (Tod der Erstgeborenen).

    ארבה
    חושך
    מכת הבכורות

    Der Psychoanalytiker Daniel Lemler widmet seinen Vortrag dem 9. Schlag: « Bo : les ténèbres de l’exil » – Finsternis der Galut, Finsternis des Exils (AKADEM)

    Mit Chóschech, der Finsternis, kehren wir zurück zum Zustand vor der Welterschaffung: Tohuwawóhu we-Chóschech al-Pnej Tehóm – Durcheinander und Finsternis über dem Abgrund: vorsprachlicher Zustand. Die Welt setzt erst mit der Sprache ein: Wa-jehi Or – Es werde Licht: die ersten Worte überhaupt.

    Mit Chóschech Mizrájim, der ägyptischen Finsternis, kehren wir zurück in einen Zustand, in dem keiner zum Anderen spricht, keiner den Anderen sieht. Die Ägypter haben das Leiden der Hebräer nicht gesehen. Jetzt sieht der eine Ägypter das Leiden seines Bruders nicht.
    Plastisch beschreibt die Tojre:

    לא רָאו איש את אָחיו ולא קָמו איש מִתַחתָיו שלושת ימים וגו‘ (שמות י, כג)

    Lo ra’ú Isch et Achiw we-lo kámu Isch mi-tachtáw schlóschet Jamim.

    [Einer sah nicht den andern, und keiner erhob sich von seiner Stelle drei Tage; (Ex 10, 23; Zunz)]

    Wie festgefroren sitzen sie da.
    Für Bnej Jisrael fügt Daniel Lemler hinzu: « Ces 430 ans d’exil avaient pour fonction de remettre tout le monde à niveau ; que chacun voit son prochain comme son égal. » ‒ Diese 430 Exiljahre hatten zum Zweck, Alle auf dieselbe geistige Stufe zu heben: dass Jeder im Nächsten seinesgleichen sieht.

    Und jetzt zur saudischen Finsternis. Wie beschreibt Ayaan Hirsi Ali nochmal ihre Kindheitserlebnisse in Badawis Land? (Mein Leben, meine Freiheit, Piper, 2008, 5. Aufl.):

    „Doch sobald wir die Moschee verließen, stand Saudi-Arabien für extreme Hitze und Schmutz und Grausamkeit. Auf öffentlichen Plätzen wurden Menschen geköpft. Die Erwachsenen unterhielten sich darüber, denn es war normal und alltäglich: Nach dem Freitagsgebet kehrte man entweder zum Abendessen nach Hause zurück oder man sah sich eine Hinrichtung an. Hände wurden abgeschlagen, Männer ausgepeitscht, Frauen gesteinigt.“
    (S. 68)

    Wovon sprechen die Leute und was sehen sie? Woran sich die Frage anschließt: Was ist mit unserer Finsternis, Choschet Eropa? Wie viel kann man sich überhaupt vorstellen, von dem was man täglich liest?

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  8. Hier die Antwort des geehrten Abgeordneten:

    29.01.2015, 16:56

    vielen Dank für Ihre E-Mail vom 23. Januar 2015. Durch den Beitritt in die Vereinten Nationen hat Saudi-Arabien die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als Handlungsgrundlage anerkannt. Zu diesen Handlungsgrundlagen gehören unter anderem die Gleichwertigkeit aller Menschen und das Recht auf freie Meinungsäußerung. Damit hat sich Saudi-Arabien verpflichtet diese Rechte einzuhalten, demzufolge muss eine umgehende Begnadigung Badawis, ohne Auflagen folgen.

    Die CDU/CSU – Bundestagsfraktion bemüht sich um die Wahrung der Menschenrechte, da diese auf dem christlichen Menschenbild beruhen, welches unsere Politik maßgeblich prägt. Dieses Menschenbild ist die Grundlage der wertegeleiteten Außenpolitik. Für weitere Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

    Mit freundlichen Grüßen
    Martin Pätzold

    Rückfrage

    Sehr geehrter Dr. Pätzold,

    Sie wissen selbstverständlich, dass Saudi-Arabien nicht nur die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 anerkannt hat; es hat auch die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam (CDHRI) vom 5. August 1990 unterzeichnet. Hier die Artikel 24 und 25:

    Artikel 24:

    All the rights and freedoms stipulated in this Declaration are subject to the Islamic Shari’ah.
    Alle in dieser Erklärung aufgestellten Rechte und Freiheiten unterliegen der islamischen Scharia.

    Artikel 25:

    The Islamic Shari’ah is the only source of reference for the explanation or clarification of any of the articles of this Declaration.
    Die islamische Scharia ist der einzige Bezugspunkt für die Erklärung oder Erläuterung eines jeden Artikels in dieser Erklärung.

    http://www1.umn.edu/humanrts/instree/cairodeclaration.html

    Auch Saudi-Arabien bemüht sich um die Wahrung der Menschenrechte gemäß seinem Menschenbild.

    Was unternimmt die CDU/CSU – Bundestagsfraktion konkret, um Badawis Begnadigung zu erreichen?

    Thronwechsel war in Europa traditionell eine günstige Zeit für Begnadigungsersuche. Der neue Souverän zeigte sich gern von seiner besten Seite. Vielleicht ist es auch in arabischen Ländern der Fall? Gerade jetzt sollte man vielleicht in einer persönlichen Adresse an die Großzügigkeit des neuen Herrschers appellieren?

    Bitte tun Sie was!

    Mit freundlichen Grüßen.

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  9. Verrückt! Unter den vielen Werbungen, die ich in meinem Email-Fach finde:

    „Haim: Pour l’éternité à Jérusalem“ – Für die Ewigkeit in Jerusalem.

    Hat mir einen Schlag versetzt. Mein Chaim liegt dort begraben, auf der Giw’át Schaul, dem Schaul-Hügel.

    Öffne die Mail und lese die Worte:
    « De nouvelles concessions sont disponibles au cimetière de Guivat Shaoul à Jérusalem. »
    Neue Grabplätze im Giw’át-Schaul-Friedhof zu erwerben.

    Der Name Chaim steht nicht in der Werbung selbst. „Haim“ gehört zum Email-Titel.
    Ich weiß zwar, dass die dortige Chewra Kadischa meinen Namen hat, aber 14 Jahre danach? Doch ein Zufall? Die Besprechungen wegen der Beerdigung fanden mit der Chewra Kadischa auf Iwrit statt. Für sie wohne ich in Berlin, habe nichts mit Frankreich zu tun.
    Mag die Werbung nicht löschen.

    Hier eine erfreuliche Nachricht:

    Tweetert die Texas-Abgeordnete (Republikaner) Molly White am 29. Januar:

    Today ist Texas Muslim Capital Day in Austin. The House is in recess until Monday. Most Members including myself are back in District. I did leave an Israeli flag on the reception desk in my office with instructions to staff to ask representatives from the Muslim community to renounce Islamic terrorist groups and publicly announce allegiance to America and our laws. We will see how long they stay in my office.

    http://jssnews.com/2015/01/29/lorsquun-republicain-du-texas-soutient-israel-cest-pas-avec-des-pincettes/?utm_source=feedburner&utm_medium=email&utm_campaign=Feed%3A+JSSNews+%28JSS+News%29

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  10. Es ist Quatsch, was ich vorhin zu der Werbung „Haim: Pour l’éternité à Jérusalem“ geschrieben habe. Das war die Überraschung.

    „Haim“ ist kein Vorname, sondern heißt „Leben“. Abgesehen davon, dass die Chewra Kadischa, die fromme Beerdigungsgesellschaft, keine Veranlassung hat, sich zu melden, sie würde nicht „Haim“ allein, sondern Haim Soundso geschrieben haben. Für mich ist mein zweiter Vater Chaim ohne Zusatz, nicht für sie. Außerdem würde sie ein „sichrono liwracha“ hinzugefügt haben. Das ist das mindeste.
    Eine Reklame halt ‒ wie die häufigen Angebote, eine Wohnung oder ein Haus in Israel zu kaufen. Schöne Bilder.
    Also: Wenn ich reich wäre, ja? dann würde ich ein Haus in Mizpe Ramon kaufen, zwischen Berlin und Mizpe Ramon pendeln. Vier, fünf Schlüssel für meine Freunde, auch für Dich, Aurore. Wer nach Israel fährt, wohnt dort, solange er will. Taucht noch jemand auf, müsst Ihr abwechselnd abwaschen. Es ist das gelbe Haus gleich hinter den Dattelpalmen.

    Es tut sich was für unseren Freund Raif Badawi:

    Die Welt, 30.01.2015: „Wer Blogger auspeitscht, ist nicht mein Partner“
    http://www.welt.de/debatte/kommentare/article136961772/Wer-Blogger-auspeitscht-ist-nicht-mein-Partner.html

    Nobel Peace Prize for Raif Badawi 2015 Friedensnobelpreis für Raif Badawi:

    Die Initiative Liberaler Muslime in Österreich-ILMÖ schlägt den liberalen Muslim Raif Badawi für den Friedensnobelpreis 2015 vor

    Wien (OTS) – Raif Muhammad Badawi als Liberaler Muslim setzt sich dafür ein, dass Muslime, Christen, Juden und Humanisten als gleichberechtigt anerkannt werden sollten. Er wurde deshalb in Saudi Arabien ungerechterweise wegen „Beleidigung des Islams“ zu zehn Jahren Haft, zu tausend Peitschenhieben und einer hohen Geldstrafe verurteilt. Für die Gleichberechtigung von Weltanschauungen einzutreten, bedeutet jedoch für den Frieden, für das friedliche Zusammenleben der Menschen einzutreten.
    Raif Muhammad Badawi hat für sein humanes Anliegen, für seinen Mut, für seine Menschenliebe eine schwere Last aufgebürdet bekommen. Gegen Diskriminierung, gegen Unterdrückung, für die gleichen Rechte und Pflichten der Menschen einzutreten, darf nicht bestraft werden, sondern muss anerkannt und gerühmt werden.
    Die Initiative Liberaler Muslime in Österreich schlägt daher Raif Muhammad Badawi als Kandidaten für den Friedensnobelpreis 2015 vor und ersucht alle gutgesinnten Menschen, die für Gleichberechtigung, für Freiheit und das friedliche Zusammenleben aller Erdenbürger und Völker eintreten, diesen Vorschlag zu unterstützen.
    Rückfragen & Kontakt:
    Amer Albayati – Präsident
    Initiative Liberaler Muslime Österreich – ILMÖ

    https://secure.avaaz.org/en/petition/To_The_Royal_Swedish_Academy_of_Sciences_infokvase_Box_50005_SE104_05_S_Nobel_Preis_fur_Raif_Badawi/?sbaTibb

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    • Hui, diese liberale Moslemvereinigung scheint Kojchess zu haben, richtet sich ihr Vorschlag doch pleinement gegen die Scharia.
      Ich werde mal nachsehen, wie hoch deren Mitgliederzahl ist und wie viele Prozent der österreichischen Gesamtmoslems das wohl sein werden. Ari der incontournable Optimist schätzt: Zwei Prozent. Mannmannmann, ZWEI Prozent schon. Dann braucht der Moschiach nur noch 98 Jahre, um hier mal aufzuschlagen.

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      • Ist Dir aufgefallen, dass der ILMÖ-Präsident Amer heißt (amer auf Französisch: bitter)?
        Da seid Ihr schon zwei.
        Ich bin’s dawka nicht: Nicht nur die Welt, auch andere Zeitungen berichten.
        Vorige Woche hat sich eine kleine Gruppe hier in Berlin mit Badawi-Plakaten vor der saudischen Botschaft versammelt. Das hat meine Mitbewohnerin im Fernsehen gesehen.
        Ich hab’s nicht gewusst, will aber jetzt versuchen, Kontakt aufzunehmen.
        Man vergisst Badawi nicht. Das ist erstmal das Wichtigste.

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        • http://www.rtf1.de/news/undefined/news.php?id=5908

          Gegen die öffentliche Auspeitschung des saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi protestierte auch die FDP und schrieb einen Brief an Saudi-Arabien.

          Das FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer und der stellvertretende Landesvorsitzende der FDP Baden-Württemberg Hosam el Miniawy erklärten in einer Pressemitteilung:

          „Das harte Urteil gegen den Blogger und Internetaktivisten Raif Badawi schockiert uns und wir verurteilen die öffentliche Auspeitschung von Raif Badawi aufs Schärfste. Diese grausame Art von Bestrafung, dazu noch in aller Öffentlichkeit, ist menschenunwürdig und stellt eine schwere Menschenrechtsverletzung dar. Wir erwarten von Saudi-Arabien, dass es den internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen, die es eingegangen ist, Rechnung trägt.“

          Auch die US-amerikanische Regierung hatte Saudi-Arabien offiziell aufgefordert, das Urteil gegen den Blogger zu widerrufen.

          Urteil und Vollstreckung wurden auch von einem Sprecher de EU-Außenbeauftragten Federica Mgherini kritisiert.

          Auch die internationale Reporter-Organisation „Reporters without Borders“ – Reporter ohne Grenzen hatte zu Hilfe für den saudi-arabischen Blogger Badawi aufgerufen. Die Reporter-Organisation hatte weltweit dazu aufgerufen, eine Online-Petition an König Abdullah von Saudi Arabien zu unterzeichnen.

          Etc. etc.

          http://www.rtf1.de/news/undefined/news.php?id=5908

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        • Asoj, die Saudisten bekommen 1) Aufmerksamkeit wegen ihrer Machtausübung,
          2) bekommen sie furchtgetragene Aufmerksamkeit wegen der besonderen sinnlosen Grausamkeit ihrer Machtausübung,
          3) werden sie Badawi begnadigen (jede Wette!) und werden darob erleichterte, respektvolle Grußadressen bekommen wegen der Milde des Königs, der zwar normalgrausam sein könnte, der aber nun weise, huldvoll und mild sei.

          a) Geil für die Saudisten, zumal sie ja schon 50 Schläge losgeworden sind, also 50mal „Allahu-Akbar!“ mitten im Lustzentrum der Sadisten.
          -b) Beschissen für Raif Badawi, der sadistisch und sinnloserweise halb totgeprügelt worden ist, und von dem westlicherseits erwartet werden wird, dafür auch noch dankbar zu sein.

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  11. Wie Ihr wisst (Aurore über TiN), lesen wir übermorgen die Asseret ha-Dibrot, die Zehnworte. Zu dem achten Diber „lo tignów“ – stiehl nicht – bringt Raschi eine überraschende Deutung:

    לא תגנוב –
    בגונב נפשות הכתוב מדבר.

    Be-Gonéw Nefaschót ha-Katúw medabér ‒ Der Text spricht hier vom Seelendieb.

    Was ist ein Gonéw Nefaschót, ein Seelendieb? Einer, der Juden zwangsbekehrt? Solche mag Raschi im 11. Jahrhundert im Sinn gehabt haben, aber hier zitiert er den Talmud.

    Laut Chasal ist ein Gonew Nefaschot ein Menschenräuber, ein Boko-Haramist, ein Sklavenhändler. Wer einen Menschen raubt, unterwirft ihn einer anderen Autorität als Elokim. Wer sich aber dem Volk Israel am Sinai mit den Worten vorgestellt hat:

    אנוכי ה‘ אלקך אשר הוצאתיך מארץ מצרים מבית עבדים.

    „Anochí Haschem Elojkécha aschér hozetícha me-Erez Mizrájim mi-Bet Awadim ‒ Ich bin Haschem dein G’tt, der dich herausgeholt hat aus dem Land Ägypten, aus dem Sklavenhaus

    fordert Freiheit für den Menschen.

    Seelendiebstahl ist so ernst, dass er zum Dekalog gehört.

    „Und was ist mit Gelddiebstahl?“, fragt der Antisemit listig. „Den Juden erlaubt, wie?“

    *Würdigt den Elsässer keiner Antwort*
    Ist natürlich in der Tora, hier:

    לא תִגנובו ולא תְכַחֲשו ולא תְשַקרו איש בעמיתו. (ויקרא יט, יא)

    Lo tignówu we-lo techachaschú we-lo teschakrú Isch ba-Amitó.

    [Stehlt nicht und leugnet nicht ab und belügt nicht Einer den Anderen. (Lev 19, 11)]

    Es wäre was über die Steigerung zu sagen, aber nicht jetzt.

    Wie findet Ihr das, dass die meisten Juden die christliche Deutung des 8. Gebots übernehmen?

    Schon jetzt: Gut Schabbes, schönes Wochenende!

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  12. Immer noch keine Antwort vom Abgeordneten Martin Pätzold. Die Satzbausteine sind ihm wohl ausgegangen.

    Aurorula, ich weiß nicht, ob Du die Diskussion über Buurmanns Artikel „Das Kreuzzug-Argument“ verfolgst. Schwer was los auf der Seite. Schlimmer als hier 🙂
    Es gab unter anderem einen Hinweis auf einen ZEIT-Artikel, der Aristobulus zu einem leidenschaftlichen Ausbruch veranlasst hat:

    „Wobei der ZEIT-Artikel dezidiert aus dem Blickwinkel des aufgeklärten Kulturchristentums geschrieben ist (hab nix dagegen!), jedoch an einer kleinen Stelle postuliert, im ‘alten Testament’ sei es um einen göttlichen Auftrag zur Vernichtung der Feinde gegangen, und Folgerung zwischen den Zeilen: Das ‘alte Testament’ sei also islamähnlich.
    Das ist grob unwahr, und dagegen hab ich was.

    Weil es in der Torah um Selbstverteidigung gegen Menschenvernichter und Menschenopferer geht. Wenn das ein göttlicher Auftrag ist: Bitte, soll sein.“

    Ergänzend habe ich einen französischen Artikel gepostet, der die Sicht eines katholischen Priesters wiedergibt:
    Abbé Alain Arbez, « Le Dieu de la Bible est-il violent? – Ist der biblische Gott gewalttätig? », Dreuz, 02.02.2015

    Hier nur die von Ari behutsam korrigierte Übersetzung:

    Zwar findet sich Gewalt in beiden Teilen der Bibel (AT und NT), doch die erste Textebene weist vor allem daraufhin, dass die Heilige Schrift kein aseptisches, erbauliches Buch ist, das uns eine ideale Menschheit, vorgefertigte Wahrheiten und gedankenlos zu befolgende Regeln vorlegen würde.

    Die Bibel ist keine Maßkonfektion, keine Bauanleitung. Wie Calvin richtig sagte, ist die Heilige Schrift eigentlich ein „Spiegel der menschlichen Seele“. Sie erzählt vor allem die Geschichte einer lebendigen und konstruktiven Beziehung zwischen G’tt und seinem Volk, das aus unvollkommenen Menschen besteht, die aber aufgerufen werden, sich in dieser Welt (Olám ha-sé) zu verändern, um zur künftigen Welt (Olám ha-ba) zu gelangen. (…)

    Was die Josua-Episode z. B. anbelangt, den Bericht über die Eroberung Kenaans (durch Mosches Nachfolger Jehoschua bin Nun), so sind die Kontroversen darüber häufig, und die Gegner des modernen Israel sammeln darin Anklagestoff.

    Doch ein Minimum an intellektueller Redlichkeit erfordert einen Vergleich zwischen den Kriegsbeschreibungen im Josua-Buch und der historischen Wirklichkeit, wie sie Fachleute rekonstruiert haben. Entgegen der ausdrücklichen Härte des Textes wissen wir heute, dass die Bildung der semitischen Stämme zu einem Völkerbund in dieser Gegend tatsächlich friedlich vonstatten gegangen ist. Die Burgstädte, bis dahin dem mächtigen Ägypten unterworfen, haben sich freiwillig zusammengeschlossen, und die Archäologen weisen wissenschaftlich nach, dass die Mauern von Jericho nicht zusammengebrochen sind bei einem Angriff der Hebräer. Die Schilderung der wiederholten Prozessionen um die Stadt von Jericho zeigt eher ein Gebetritual als eine Militärstrategie. Die Mauern fallen, so wie G‘tt die Berge versetzt und den Unterdrückten Lebensperspektiven eröffnet.

    Warum hat also der Text den Ruf, besonders gewalttätig zu sein? Vermutlich wegen der wortwörtlichen Auslegung. Während dieser Text niedergeschrieben wird, zittert nämlich das schwache Israel vor der assyrischen Bedrohung, und es geht darum, durch ein Großmannsepos, Bevölkerungen aufzurichten, die sich schon vernichtet sehen, und ihnen Widerstandsgeist einzuflößen.
    Das Risiko, daraus könnten die Juden falsche Schlüsse ziehen, ist heute null: Die dort genannten feindlichen Völker gibt es heutzutage nicht mehr! Ein Angriff gegen die Amoriten würde 2015 nicht viele Opfer fordern…

    Dagegen verlangt der Koran von den „wahren Gläubigen“, dass sie Allahs Gegner, und zwar die Juden und die Christen, beseitigen sollen. Das allerdings bedeutet ein Risiko für einen großen Teil der heutigen Menschheit, weil diese Ziele aus Fleisch und Blut in der ganzen Welt existieren.
    http://www.dreuz.info/2015/02/le-dieu-de-la-bible-est-il-violent/

    Calvins Formel, die hebräische Bibel sei ein „Spiegel der menschlichen Seele“, ist ganz schön. Noch genauer sagt es Goethe, allerdings bezogen auf das eigene Werk: „Alles, was daher von mir bekannt geworden, sind nur Bruchstücke einer großen Konfession…“ (Dichtung und Wahrheit).

    „Bruchstücke einer großen Konfession“, die öffentliche Beichte eines Volkes. Das ist kein unwichtiger Aspekt der schriftlichen Tora. Andere Völker sehen sich in schön, bewundern sich selbst in ihren geglätteten Königschroniken und Heldenepen. Wir sehen uns in wahr. Sieht naturgemäß weniger gut aus. Bei uns kommen nicht einmal die Könige gut weg ‒ die schon gar nicht. Man schaue sich Davids dubiose Vergangenheit als Anführer einer Räuberbande und als Volksverräter an, dazu die politisch motivierten Verbrechen und andere Untaten während der Regierungszeit.

    Wie schreibt Marcel Reich-Ranicki in einer Rezension über Stefan Heyms Der König David Bericht (Die Zeit, 18.08.1972, Nr. 33):

    „Denn die jüdischen Schreiber, die für das Sammelwerk arbeiteten, das später Das Alte Testament genannt wurde, waren nicht die schlechtesten Literaten; und so dachten sie nicht daran, die Juden zu schonen – weder das Volk noch seine Könige. Nicht zuletzt deshalb sind viele Texte dieser erfolgreichsten Anthologie der Weltliteratur noch heute lesbar – darunter gerade die über die zahlreichen Missetaten des musikalischen Tyrannen David.“

    Doch statt zu sagen: „Alle Achtung für den Mut zur Selbsterkenntnis!“, was machen die Gojim? Zeigen mit dem Finger auf uns. So sind sie, die Juden. Das geben sie selbst zu. Kein Gedanke darüber, ob vielleicht der Mensch selbst so sein könnte: ecce homo. Du und ich und alle anderen Schufte.

    Naja, liest sowieso kein Schwein mehr. Heute liest man den Koran. Wenigstens keine Selbstkritik.

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  13. Das alles, um einen Kommentar mit Euch zu teilen, der mir nah geht. Er ist von R. Chaim Halberstam, dem chassidischen Rebben aus Zans (19. Jh.). Sein Urenkel, der Komponist Ben Zion (1873-1941), ist von den Nazis umgebracht worden.

    Der Kommentar bezieht sich auf einen Satz, den ich Euch erlasse. – Bitte schön! So bin ich: immer rücksichtsvoll und so.

    והיה כי יצעק אלי ושמעתי כי חנון אני (כב, כו) –
    אם יהודי צועק שהוא חולה, אין איש שם לבו ואין מאמינים לו; צועק הוא שהוא רעב – מביטים בו בחשדנות ושוב אין מאמינים לו. אבל יבוא נא אותו יהודי ויצעק שהוא חוטא, שאין הוא אדוק דיו – מיד מאמינים לו. (ר‘ חיים מצאנז; יהושע שפיגל, רשפי תורה, ע‘ 194)

    [Schreit ein Jid, dass er krank ist ‒ kein Mensch beachtet ihn und keiner glaubt ihm; schreit er, dass er Hunger hat ‒ man sieht ihn an, und wieder glaubt ihm keiner. Wenn aber derselbe Jid schreit, dass er ein Sünder ist und die Gebote zu wenig beachtet – sofort glaubt ihm die ganze Welt.]

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  14. Was man an der Aktuellen Kamera vorbei erfährt:
    Berichtet der Direktor des Zentrums für arabisches und islamisches Recht, Prof. Sami Aldeeb, dass die Arabische Liga es nicht bei der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam 1990 belassen hat. Die Kairoer Erklärung bindet alle OIC-Länder, stellt sämtliche Gesetze unter Scharia-Vorbehalt, doch geht sie den Arabern unter den Muslimen nicht weit genug.
    Weshalb die Mitglieder der Arabischen Liga (22 Staaten) 1996 zusätzlich den „Code Pénal Arabe Unifié“ (Arabisches Einheitsstrafrecht; auf Arabisch auf der Webseite der League of Arab States) ratifiziert haben, das die volle Anwendung der Scharia in allen Unterzeichnerländern als anzustrebendes Ideal vorsieht.
    Unterschrieben hat demnach nicht nur Saudi-Arabien – was ein Bundestagsabgeordneter nicht wissen muss –, unterschrieben haben auch sog. „gemäßigte“ Staaten wie Marokko, Algerien und Tunesien. Armer Bachatero!

    Wortlaut unter dem Link:
    http://ripostelaique.com/exclusif-en-1996-tous-les-pays-arabes-ont-ratifie-la-charia/

    Sehr schön übrigens die Frage von Sami Aldeeb in einem Artikel vom 06.02.2015 (« Les terroristes ne font que suivre les enseignements de l’islam »):

    « … qu’est-ce que les terroristes ont fait et que Mahomet et ses compagnons n’ont pas fait? » ‒ Was haben die (IS-) Terroristen getan, was Mohammed und seine Genossen nicht getan hätten?

    http://www.tunisie-secret.com/Les-terroristes-ne-font-que-suivre-les-enseignements-de-l-islam-par-Sami-Aldeeb_a1332.html

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    • Korrektur
      Die Kairoer Erklärung stellt sämtliche Rechte unter Scharia-Vorbehalt…

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    • Liebe Schum,
      würde gerne etwas auf die phantastischen Beiträge schreiben – bin allerdings zur Zeit so am herumdüsen daß ich ihnen nicht soviel Zeit widmen kann wie die sorgfältige und durchdachte Schreibweise verdient 😦
      Wünsche trotzdem einen guten Wochenstart 😀 und habe es nicht vergessen.

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      • Ah, ich auch!, nur düse ich grad mit einem gewissen Dovid Sternberg mitten durch Polen 🙂 , muss grad sein Stichwortnotierer sein, keiner weiß, wo der mich noch hinkarrt, er träumt grad von einer Hängebrücke, die auf Zedern zuschwingt, passt gar nicht zu pojlnischn Rumpelstraßen und pojlnischn Exilen 😀 , nu, er tröstet sich.

        Dank, Schum ma chère, für Deine Kommentare, ich antworte noch drauf, wenn mich dieser Sternberg wieder aussi lossn sollte. Bei dem weiß man aber nie, gestern fiel er vom Karschnbojm. *waj*

        Euch a guttn Sonntagsjojmrischojn.

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      • Düst nur weiter herum, liebe Freunde. Auch ich düse herum – manchmal im Kreis, das gebe ich zu.
        Aber bitte, Ari: Bleib bei Dovid Sternberg. Kein Kommentar ist es wert, sich dafür von Sternberg zu entfernen. Ich weiß von ihm nur wenig, aber dieses Wenige nimmt mich für ihn ein.
        Diesen Dovid Sternberg möchte ich an eine Kleinigkeit im jetzigen Wochenabschnitt „Truma“ (Spende, Beitrag) erinnern. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass ausgerechnet er sie vergessen haben sollte – hat er sie doch im Blut ‒, aber vielleicht hat er einmal Gelegenheit, sie ausdrücklich zu erwähnen.
        Muss ein Bisschen ausholen, ja?

        Weist Haschem die Bnej Jisrael in der Wüste an, ihm einen tragbaren „Mischkan“, ein Heiligtum, zu bauen.
        Der Mischkán soll die heiligen Geräte („Kelim“) aufnehmen: die Lade mit den Gesetzestafeln (Aron ha-Kódesch), die Menora aus Gold, den Tisch mit Léchem ha-Panim, den „Schaubroten“, den Innenaltar aus Gold.
        Sowohl der Mischkan wie auch die Kelim sind auf- und abbaubar. Es ist ein Wüstentempel, den die Lewijim auf Wanderung tragen, während die zwölf Stämme sie ringsum beschützen.
        Daher haben sowohl die Einzelteile des Mischkan wie auch die Kelim seitlich Ringe für durchzuziehende Tragestangen. Die Lewijim tragen alles an Stangen, ja?

        Als der Mischkan unter Schlomo ha-Melech zum Mikdasch wurde, zu einem Tempel aus Stein, konnten die Tragestangen endlich entfernt werden. Hatten doch alle Kelim ihren unverrückbaren Platz eingenommen. Die eingearbeiteten Ringe blieben natürlich am jeweiligen Objekt, doch ohne Tragestangen.
        Ein Objekt aber sollte auch im Bet ha-Mikdasch seine Tragestangen beibehalten. Der Aron, die Lade mit den Tafeln. Der Aron niemals ohne Badim, ohne Tragestangen. Denn so steht’s in unserer parsche geschrieben:

        בְטַבְאות הארון יהיו הבדים לא יָסורו ממנו. (שמות כה, טו)

        Be-Tab’ót ha-Aron jihejú ha-Badim lo jassúru miménu.

        [In den Ringen der Lade sollen die Stangen bleiben, sie sollen nicht herauskommen. (Ex 25, 15; Zunz]

        Noch einmal:

        בְטַבְאות הארון יהיו הבדים לא יָסורו ממנו. (שמות כה, טו)

        Fügt Raschi ein einziges Wort hinzu:

        לעולם.

        le-Olam – ewig, für immer

        Für immer, auch im künftigen Tempel, sollen die Stangen im Aron ha-Kodesch, bei der Lade, verbleiben.

        Versteht Ihr, was es heißt? Dovid Sternberg weiß es. Das heißt, dass der Aron jederzeit beweglich, jederzeit fluchtbereit sein muss. Nie, nirgendwo, rechnet Am Israel mit absoluter Sicherheit. Der Mischkan hat sich anscheinend endgültig niedergelassen, ist Stein geworden, ein Prachtgebäude. Die Kelim in ihm anscheinend sicher aufgehoben. Doch das Herz des Herzens, der Aron ha-Kodesch mit den luches – der ist immer aufbruchbereit.
        Man rechnet mit allem, immer und überall.
        Wir haben’s im Nachkriegsdeutschland, im Nachkriegsfrankreich anscheinend vergessen. Mohammed Merah und seine Brüder bringen es uns in Erinnerung: Aron ha-Kodesch niemals ohne Badim – le-Olam lo.

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  15. Chère Aurore,
    Einerseits möchte ich Deine Geduld nicht überstrapazieren: Was, wenn Du schon als Kind Entschuldigungszettel gefälscht hast, um Dich vor Religionsunterricht zu drücken?
    Andererseits kann ich‘s nicht bei Halbinformationen belassen, die vom Judentum ein verzerrtes Bild geben. Jeder ist auch ein Multiplikator, vielleicht erzählst Du das eine oder andere. Das muss stimmen, weil Erzählungen Folgen haben können.

    Noch ein Bisschen Aufmerksamkeit, ja? Be-Wakascha!

    Ich knüpfe an die Charakterisierung der hebräischen Bibel an als „Bruchstücke einer großen Konfession“. Die schonungslose Kritik des jüdischen Volkes und seiner Verantwortlichen lässt Israel nicht gut da stehen. Stell Dir vor, man hätte Börne, Nietzsche und Tucholsky die Aufgabe anvertraut, eine Anthologie der deutschen Kultur zusammenzustellen. Das Ergebnis wäre nicht schmeichelhaft gewesen, nicht? Zugegeben: Der Vergleich ist wacklig. Unwichtig.

    Was wichtig ist: Was die mündliche Tora (Talmud), was die Tradition aus diesem Rohstoff gemacht hat: Das ist Judentum. Nicht der Rohstoff. Der Raw Ehrenberg vergleicht die schriftliche Tora (hebräische Bibel) mit halbgebackenem Brot. Das isst man nicht. Wie Du selbst gesehen hast: Wir essen Raschi und Hunderte, Tausende von Kommentatoren im Laufe der letzten 3000 Jahre.
    Der nackte Text ohne Kommentare, die Oberflächen-Rezeption: Das ist Christentum, nicht Judentum. Daher die aussichtslosen Debatten mit vielen Nichtjuden: „Aber da steht…“ Nein, das steht nicht da. Es steht da, was wir hineinlesen; in der Originalsprache sowieso, mit den Querverbindungen: die Tiefeninterpretation.
    Der Leser schreibt an der Tora mit: Dazu werden wir im Talmud ausdrücklich aufgefordert:

    כל הקורא פסוק בזמנו מביא טובה לעולם (סנהדרין קא א)

    Kol ha-koré Passúk bi-Smanó mewí Towá la-Olám. (Sanhedrin 101 a.)

    [Wer auch immer die Tojre zeitgemäß auslegt, setzt Gutes in die Welt.]

    Ergänzend übersetze ich so gut ich kann einen längeren Beitrag vom ehemaligen Rektor der Jerusalemer Universität Leon Roth, dann sind wir fertig. Dann bist Du fertig, fürchte ich, aber ich werde mir nicht mehr verrätisch vorkommen. In Ordnung?

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  16. Léon Roth, La pensée juive, facteur de civilisation, Unesco/ La question raciale et la pensée moderne, Paris 1954 :

    Une caractéristique des livres sacrés des Juifs est que ceux-ci n’y sont pas présentés comme parfaits. Au contraire, sur le plan collectif comme sur le plan individuel, on nous les montre comme ayant tout particulièrement besoin de cette éducation qu’ils considéraient comme la préparation indispensable à la religion. C’est pourquoi la Bible hébraïque conserve de nombreuses traces d’idées grossières et restées, pour ainsi dire, à l’état brut. Les exemples en ont été soigneusement réunis et sont bien connus. Lorsque Jacob trompa son père aveugle, il se conduisit (selon toute apparence) en sournois ; lorsque David prit les deux tiers des Moabites et les massacra, il se conduisit en barbare. Les psaumes dits « imprécatoires » auraient fort bien pu être composés par les propagandistes de notre époque.
    Tout ceci est évident et se passe de commentaires. Telles étaient les mœurs admises de l’époque. Ce qui est remarquable c’est que, faisant contraste avec cette toile de fond, on nous présente un enseignement particulier d’un ordre différent et plus élevé, et que cet ordre est déclaré et reconnu comme tel. Si nous avons dépassé de nombreuses positions bibliques, c’est sur l’injonction de la Bible elle-même. Par exemple, Abraham nous est présenté comme enseignant à Dieu une morale plus élevée : un même châtiment ne doit pas frapper l’innocent et le coupable. C’est la Bible elle-même qui condamne David pour sa conduite sanguinaire, et il est significatif qu’elle lui attribue discrètement un psaume de repentir qui est devenu un classique de la religion. Et il importe peu que, dans sa dernière recommandation à son fils Salomon, David semble être revenu à ses anciens errements. Pour la tradition, David reste l’auteur reconnu d’une conception totalement différente de l’existence : « O Dieu ! crée en moi un cœur pur, renouvelle en moi un esprit bien disposé… Les sacrifices qui sont agréables à Dieu, c’est un esprit brisé. O Dieu ! tu ne dédaignes pas un cœur brisé et contrit. »
    J’insiste sur les mots « pour la tradition », parce que c’est la tradition qui importe. Les laborieuses précisions de la critique historique sont utiles dans leur domaine propre, mais elles n’ont guère de signification en dehors. Ce psaume est intitulé : Psaume de David, lorsque Nathan, le prophète, vint à lui après que David fut allé vers Bethsabée ». On nous rappelle délibérément un grand crime ; et quoique ce récit soit bien connu, nous l’évoquerons brièvement ici, car il présente un très grand intérêt du point de vue de notre étude.
    Pour s’emparer de Bethsabée, David avait fait tuer le mari de celle-ci. La manière dont il s’y prit, et que l’on ne considérait probablement pas comme exceptionnelle, nous est décrite avec la plus grande précision. Mais, à la fin du récit, nous sommes transportés sur un autre plan. Le ton change tout à coup. On introduit pour ainsi dire négligemment les mots suivants : « Ce que David avait fait déplut à l’Éternel. »
    Avec ces mots commence une tout autre histoire. Le prophète apparaît et, par son entremise, Dieu intervient.
    Ce qu’il y a de remarquable, c’est précisément ceci. La première histoire est conventionnelle. Elle est banale, que ce soit il y a très longtemps dans l’Orient « cruel » ou n’importe où à notre époque. On pourrait en trouver le pendant dans tout livre d’histoire et dans d’innombrables poèmes et romans. Quant à la seconde histoire, c’est la Bible hébraïque, c’est-à-dire la pensée juive dans sa quintessence. A la question de savoir ce qui, dans la pensée juive, importe pour l’humanité, on pourrait répondre, aussi brièvement que pertinemment : l’histoire de Nathan et de David, et le psaume LI.

    [Charakteristisch für die heiligen Bücher der Juden ist, dass sie darin alles anders als vollkommen erscheinen. Im Gegenteil, sowohl kollektiv wie individuell zeigen sie sich in hohem Maße der Erziehung bedürftig, die sie als eine unerlässliche Vorbereitung zum Glauben betrachteten. Daher bewahrt die hebräische Bibel zahlreiche Spuren grober, gewissermaßen nicht erarbeiteter Vorstellungen. Die Beispiele sind sorgfältig gesammelt worden und sind gut bekannt. Als Jaakow seinen blinden Vater betrog, handelte er (anscheinend) heimtückisch; als David zwei Drittel der Moabiter überwältigte und sie abschlachtete, verhielt er sich wie ein Barbar. Die sogenannten Verwünschungspsalmen könnten von zeitgenössischen Propagandisten stammen.

    Das alles ist offensichtlich und bedarf keines Kommentars. So waren die damals herrschenden Sitten. Aber das Bemerkenswerte daran ist, dass man uns im Kontrast zu diesem Hintergrund eine andersgeartete, weit höhere Lehre hinstellt, und dass diese Lehre als solche auch erkannt und benannt wird. Wenn wir viele biblische Haltungen überwunden haben, so dank der Bibel selbst. Awraham zum Beispiel wird als Einer gezeigt, der eine höher stehende Moral lehrt: Eine Strafe darf nicht den Unschuldigen und den Schuldigen zugleich treffen. Die Bibel selbst verurteilt David für seine Bluttaten, und es spricht für sich, dass sie ihm einen Reuepsalm zuschreibt, der ein Klassiker des Judentums geworden ist. Und es spielt keine Rolle, dass David in seinen letzten Empfehlungen an seinen Sohn Schlomo zu seinen früheren Irrungen zurückgekehrt zu sein scheint. Für die Tradition bleibt David der anerkannte Autor einer ganz anderen Lebensauffassung: „Lew tahór berá li Elokim, we-Rúach nachón chadésch be-Kirbi… Siwchéj Elokim Rúach nischbára, Lew nischbár we-nidké Elokim lo tiwsé.“ – Ein reines Herz erschaffe mir, Elokim, und einen rechten Geist erneuere in meinem Innern… Opfer für Elokim, das ist ein gebrochener Geist, ein gebrochenes und zerdrücktes Herz wirst du nicht verschmähen, Elokim.

    Ich unterstreiche die Worte „für die Tradition“, weil nur die Tradition zählt. Die gelehrten Hinweise der historischen Kritik mögen in ihrem Bereich nützlich sein, doch außerhalb haben sie keinerlei Bedeutung. Dieser Psalm trägt den Titel: „La-Menazéach Mismór le-David, be-wo eláw Natan ha-Nawi, kaaschér ba el Bat-Schawa“ – Psalm von David, als zu ihm kam der Prophet Natan, nachdem er zu Bat Schewa (Betsabea) gekommen war.
    Man erinnert uns wissentlich an ein schweres Verbrechen; und obwohl diese Geschichte recht bekannt ist, wollen wir sie hier kurz skizzieren, weil sie unsere Sichtweise sehr deutlich macht.
    Um Bat Schewa zu besitzen, ließ David deren Mann (Uri den Hethiter) töten. Die Art, wie David die Sache inszenierte, und die man seinerzeit wohl als nichts Besonderes empfand, beschreibt der Text mit großer Genauigkeit. Doch am Ende der Geschichte versetzt man uns auf eine andere Ebene. Plötzlich wechselt der Ton. Da heißt es fast nebenbei: „Was David getan hatte, missfiel dem Ewigen.“

    Mit diesen Worten fängt eine ganz Geschichte an. Der Prophet tritt auf, und durch seine Vermittlung erscheint G’tt.
    Eben das ist hier das Bemerkenswerte. Die erste Geschichte ist konventionell. Sie ist banal, egal ob sie im „grausamen“ Orient spielt oder irgendwo in unserer Zeit. Entsprechungen ließen sich in jedem Geschichtsbuch und in unzähligen Gedichten und Romanen finden. Doch die zweite Geschichte, das ist die hebräische Bibel, sprich das jüdische Denken in seiner Quintessenz. Auf die Frage, was im jüdischen Denken für die Menschheit relevant ist, könnte man ebenso kurz wie richtig antworten: die Geschichte von Natan und David und der Psalm 51.]

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  17. Zu Schabbes:

    Aus dem AKADEM-Vortrag vom Psychiater Elie Botbol: « Terouma: se connecter à l’infini » (sich mit dem Unendlichen verbinden):

    Wie lebt sich ohne Bet-Mikdasch, ohne Tempel?
    Hörte einmal ein Raw zwei ältere Männer sich unterhalten. „Als meine Frau und ich noch jung waren“, sagte der eine, „war uns die schmale Couch in ihrem Zimmerchen nicht zu eng. Wir liebten uns. Jetzt ist nicht mal im Doppelbett Platz genug.“
    „Sehen Sie“, sagte der Raw am folgenden Schabbes zu seiner Gemeinde: „Man braucht kein Prachthaus, um mit Robojno schel Ojlom zusammen zu sein. Wenn man sich liebt, ist auch das engte Bett im kleinsten stibele groß genug“.

    Gut Schabbes und Chodesch tow – ein schönes Wochende!

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  18. Immer noch nichts von CDU-Martin Pätzold.
    Seit dem obigen Artikel über Raif Badawi folgt eine Alptraumnachricht der nächsten. Vor lauter Erschossenen, lebendig Verbrannten und Geköpften sieht man Einzelne nur noch, wenn man sie sucht – und einige sieht man auch dann nicht, wenn man sie sucht, so Badawi. Keine Nachricht, nichts.

    Dafür aber Nachrichten aus dem 58. Staat in spe der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC).
    Und zwar empfiehlt ein ex-hochrangiger Beamter des französischen Verteidigungsministeriums, ein gewisser Pierre Conesa, Frankreich möge sich zu der Tatsache bekennen, dass es ein muslimisches Land sei und einen Sitz bei der OIC beanspruchen.
    Neckischerweise steht der Conesa-Bericht unter dem Zeichen der Terrorismusbekämpfung. Weil Frankreich sich vor dem Bekenntnis drücke, dass es ein muslimisches Land ist, so die Argumentation, ist es nicht in der Lage, den Terror wirksam, nämlich politisch, zu bekämpfen. Sicherheitsmaßnahmen seien für die Katz, wie die Januar-Attentate gezeigt haben.
    Natürlich wird Frankreich in diesem Fall die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam unterzeichnen müssen, die sämtliche Rechte unter Scharia-Vorbehalt stellt, sowie den „Code Pénal Arabe Unifié“ (Arabisches Einheitsstrafrecht) von 1996, das die volle Anwendung der Scharia in allen Unterzeichnerländern als anzustrebendes Ideal vorsieht. Eine Formsache, die man nicht hervorzuheben braucht.
    Keine Frage, dass die OIC-Kollegen unter diesen Umständen helfen werden, den Schutz der Juden und der Meinungsfreiheit in Frankreich sicher zu stellen.

    Europe-Israël, 20.02.2015
    Christian De Lablatinière

    Selon le rapport Conesa « La France doit assumer qu’elle est un pays musulman et doit revendiquer un siège à l’Organisation de la Conférence Islamique. »

    Selon un rapport intitulé « Quelle politique de contre-radicalisation en France ? » remis fin décembre à la Fondation d’aide aux victimes du terrorisme, Pierre Conesa, ancien haut fonctionnaire au ministère de la Défense, préconise que « La France doit assumer qu’elle est un pays musulman et doit revendiquer un siège à l’Organisation de la Conférence Islamique. »

    La France doit par ailleurs assumer qu’elle est un pays musulman et participer à la modernisation de la pensée coranique, à travers la création d’un institut de théologie islamique.

    Elle est légitime dans la revendication d’un siège à l’Organisation de la coopération islamique pour faire valoir ses droits : « Avec six millions de musulmans, elle peut se considérer comme le porte-parole d’une communauté plus significative qu’un tiers des Etats membres. »

    On notera une nouvelle fois le faux chiffre « officiel » de 6 millions de musulmans alors que (la maire de Lile) Martine Aubry déclarait déjà en 2010 le chiffre de 12 millions de musulmans en France…

    Le rapport continue ainsi:

    La dernière vague d’attentats en est une illustration tragique. La lutte antiterroriste à la française, appuyée sur la législation la plus intrusive d’Europe et l’efficacité des services de renseignement, n’a fait que retarder l’inévitable. Faute d’avoir traité politiquement la montée du fondamentalisme islamiste, les gouvernements successifs ont opposé une réponse exclusivement sécuritaire à sa manifestation terroriste. […]

    Toute politique doit reposer sur une définition sans ambiguïté de son objet. Le rapport préconise donc de bannir l’expression « terrorisme international », formule creuse au regard de la diversité de ces mouvements. Il rejette également le terme d’« islamisme », afin de casser le sentiment de stigmatisation des musulmans. […]

    http://www.europe-israel.org/2015/02/selon-le-rapport-conesa-la-france-doit-assumer-quelle-est-un-pays-musulman-et-doit-revendiquer-un-siege-a-lorganisation-de-la-conference-islamique/

    http://www.lexpressiondz.com/actualite/210070-7-millions-de-franco-algeriens.html

    Trotz alledem und alledem: gute Woche uns Allen!

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  19. Und die fängt doch gut an, die Woche. Zuerst mit folgender Mitteilung von UN Watch, 17.02.2015:

    20 NGOs Led by UN Watch to Bestow 2015 Courage Award Upon Saudi Blogger at Tuesday’s Geneva Rights Summit

    On eve of UN rights session, global coalition of dissidents will spotlight urgent human rights situations and call for action

    GENEVA, February 17 – A coalition of 20 non-governmental human rights groups announced today that Saudi blogger and rights activist Raif Badawi ‒ sentenced to 10 years in prison and 1,000 lashes for “insulting Islam” by creating a website for Saudi liberals ‒ has been selected as the 2015 recipient of the prestigious Geneva Summit Courage Award. Last year’s prize went to blind Chinese lawyer Chen Guangcheng.

    “I am very happy to hear this,” said Ensaf Haidar, Badawi’s wife, now based in Canada, who will be accepting the award by video when it is presented next week in a ceremony before UN delegates, human rights activists and journalists, on Tuesday, February 24th, 2015, at the 7th annual Geneva Summit for Human Rights and Democracy. (See list of speakers below.)

    The NGO coalition is honoring Badawi “for inspiring the world with his extraordinary courage in the defense of liberty and universal human rights.”

    The conference will feature top-name activists, former political prisoners and victims from China, Russia, Iran, and many other human rights hotspots, who will seek to influence foreign ministers gathering across the street days later to open the annual session of the UN Human Rights Council.

    On January 9, Badawi received the first 50 lashes, and was due to receive the remainder over 19 weeks. Following international outrage, he has been spared each Friday since then, but remains in prison. Prince Charles raised Badawi’s plight with the Saudi king last week.

    Saudi Arabia is member of UNHRC, has never been scrutinized

    Bringing the story of Saudi Arabia’s brutal flogging of a human rights activist to the doorstep of the UNHRC is particularly important given Saudi Arabia’s ill-advised membership on the 47-nation council.

    Badawi’s arrest and sentencing came on the heels of a clampdown across the kingdom against any dissent. His crime was the creation of a blog called “Free Saudi Liberals,” which encourages free discussion about Islam and its role in the country.

    There has never been a UNHRC resolution on the situation of human rights Saudi Arabia, despite having one of the world’s worst records on freedom of religion and other fundamental rights. Instead, Saudi Arabia holds a seat of power and influence as an elected member of the UNHRC.

    “Liberal International Hails Prize“

    As co-hosts of the Geneva Summit, Liberal International is pleased to join forces with UN Watch and 18 other NGOs, to continue to fight for Raif Badawi’s liberation,” said Markus Loening, chair of Liberal International’s Human Rights Committee, and former human rights commissioner of the German government.

    “Raif Badawi displayed enormous personal courage in his fight for the most fundamental liberal value: freedom of speech. This he has done under the most perilous of conditions.“

    “He should be assured that he is not alone in his struggle against suppression of basic liberties in Saudi Arabia and I hope that this award will be recognized as a symbol of the importance of tolerance in any society. For oppression to thrive, critical voices need only remain silent.”

    Geneva Summit: Unique Gathering of Human Rights Heroes

    For journalists, next week’s Geneva Summit provides a one-stop opportunity to hear from and interview frontline human rights advocates, many of whom have personally suffered imprisonment and torture.

    The speakers’ compelling and vivid testimonies will press UNHRC delegates not to allow politics to override the cries of human rights victims. Additional speakers will include:

    • Alex Chow & Lester Shum, Student leaders of Hong Kong protest movement
    • Saa, Nigerian schoolgirl who escaped from Boko Haram
    • Pierre Torres, French Journalist held hostage by ISIS for 10 months
    • Yavuz Baydar, Turkish journalist
    • Mustafa Nayyem, Ukrainian MP, journalist, initiator of Maydan protests
    • Maria Baronova, Russian human rights activist
    • Tamara Suju, Venezuelan human rights lawyer
    • Yeon-Mi Park, 21-year-old North Korean defector
    • Ashiq Masih, Husband of Asia Bibi, on death row in Pakistan for blasphemy
    • Masih Alinejad, Iranian freelance journalist
    • Dicki Chhoyang, Central Tibetan Administration
    • Il Lim, North Korean defector and former slave laborer
    • Maria Corina Machado, Venezuelan opposition leader
    • Juan Francisco Sigler Amaya, Cuban human rights activist
    • Manuel Cuesta Morua, Cuban dissident leader
    • Javier El-Hage, General Counsel, Human Rights Foundation
    • Fouzia Elbayed, Moroccan MP, Human Rights Committee of Liberal International
    • Yang Jianli, Former Chinese political prisoner, survivor of Tiananmen Square massacre, president of Initiatives for China
    • Ladan Boroumand, Abdorrahman Boroumand Foundation for Human Rights and Democracy in Iran, member of Steering Committee of World Movement for Democracy
    • Subhas Gujadhur, Director, Universal Rights Group

    Now in its seventh year, the annual conferences of the Geneva Summit have enjoyed widespread coverage by major wire services and newspapers, as well as television and radio news outlets.

    http://www.genevasummit.org/press/176/20_rights_groups_to_bestow_courage_award_upon_saudi_blogger_at_geneva_summit_

    http://www.europe-israel.org/2015/02/20-groupes-de-defense-des-droits-de-lhomme-vont-accorder-le-prix-du-courage-au-blogueur-saoudien-lors-du-sommet-de-geneve/

    Das ist die eine gute Nachricht. Die andere ist mehr für Leute mit Spezialhumor:
    Bekommt meine Mitwohnerin auf ihrem Handy eine ungebetene SMS (22.02.2015, 17:23):

    „Und euer Gott (Allah) ist ein Einziger Gott. Es gibt keinen Gott außer ihm, dem Allerbarmer, dem Barmherzigen. (Quran 2:163)“

    Anmerkung Schum:
    Der Vers steht allein für sich, doch die zwei vorhergehenden klären uns auf:

    Koran 2:161 Diejenigen aber, die ungläubig sind und als Ungläubige sterben, auf ihnen liegt der Fluch Allahs und der Engel und der Menschen allesamt,

    Koran 2:162 ewig darin zu bleiben. Die Strafe soll ihnen nicht erleichtert noch soll ihnen Aufschub gewährt werden.

    (Übers. Scheich Abdullah As-Samit [F. Bubenheim] und Dr. Nadeem Elyas)

    PS. Ari, schreib was über den Fernand Dubois, den antisemitischen Soldaten, der eine jüdische Schule beschützen muss; Dir, Aurore und mir zu ungefährlicher Aggressionsabfuhr. Muss sein.

    Schawua tow, gute Woche.

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  20. Ich schreibe weiter, ohne Garantie gelesen zu werden, ja? Aber wer hat schon diese Garantie? Es kann nicht jeder Günter Grass sein.

    Erstens: Post von meinem Lieblingsabgeordneten Martin Pätzold:

    03.03.2015, 18:11

    Deutschland und die Europäische Union thematisieren Menschenrechtsfragen regelmäßig gegenüber der Regierung Saudi-Arabiens, durch Demarchen der lokalen Europäischen-Präsidentschaft. Seit März 2009 hat die Europäische-Union mit Saudi-Arabien einen informellen Menschenrechtsdialog aufgenommen, der allerdings nur langsam voranschreitet.

    Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Franz Josef Jung, unterstrich bereits, dass Deutschland auf dem diplomatischen Weg alles versuchen muss, damit Saudi-Arabien die Körperstrafe gegen Raif Badawi unterlässt. Dahingehend hat die Bundesregierung das Thema in Saudi-Arabien bereits auf verschiedenen Ebenen angesprochen und sich dafür eingesetzt, dass die Strafe nicht vollstreckt wird. Des Weiteren hat die Deutsche Botschaft schon Ende Oktober 2014 sowohl beim Außenministerium als auch bei der staatlichen Menschenrechtskommission Saudi-Arabiens demarchiert und explizit um die Aussetzung der Strafe gebeten.

    Ich kann Ihnen versichern, dass die Lage der Menschenrechte in Saudi-Arabien weiterhin, von der Arbeitsgruppe für Menschenrecht und Humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Bundestagfraktion, kritisch beobachtet wird. Für weitere Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

    Mit freundlichen Grüßen
    Martin Pätzold

    Man thematisiert und demarchiert: Was will Badawi mehr?

    Zweitens:
    Auf der Chabad-Seite zu unserer parsche „Ki tissa“ ein Kommentar von R. Elisha Greenbaum (Australien) zu den ersten Luchot (Tafeln), die Mosche Rabenu im Zorn über die Kalbsanbetung zerschmettert hat. Auszüge:

    Warum die Bruchstücke behalten?

    Mosche steigt vom Berg und sieht eine schockierende, üble Szene. Kaum einen Monat nach der Übergabe der Zehn Gebote, während das Echo der Offenbarung am Sinai noch nicht verhallt ist, haben sich einige Juden aufgelehnt und ein Idol gebaut, ein goldenes Kalb.

    Mosche wird so wütend, dass er die zwei Luchot (Tafeln) zerschmettert, die Sünder bestraft und dann sofort zurück auf den Berg eilt, um G-ttes Gnade zu erflehen. Achtzig Tage danach (an dem Tag, der später Jom Kippur wurde), gibt G-tt seinem Volk eine zweite Chance und erlaubt Mosche, zwei neue Tafeln zu behauen.

    Die beiden Tafelpaare – das zerbrochene und der Ersatz – sind für immer in der Bundeslade aufbewahrt.

    Aber warum die Bruchstücke aufbewahren? Sind sie nicht ein bloßes Symbol unserer Sünde und Strafe? Warum ein Souvenir aufheben, das an diese dunkle Stunde erinnert?

    Wer nie kämpfen musste, nie enttäuscht wurde, kann sich mit G-tt und seiner Tora nicht wirklich verbinden. Selbstüberschätzung hält uns vom G-ttlichen fern. Die Narben, welche die Welt uns zugefügt hat, die Folgen unserer Schlachten und überwundenen Versuchungen, sind das Eintrittsgeld für das Reich G-ttes.

    Der Empfang der Tora am Berg Sinai war ein ekstatisches Ereignis ohne Parallele. Gewiss hatten alle das Gefühl, persönlich für die g-ttliche Offenbarung auserwählt zu sein. Wie konnten sie dann Selbstzufriedenheit vermeiden?

    Da die Scherben der Luchot aufbewahrt wurden, erinnerten sie uns ständig an unsere Fehler in der Vergangenheit. Der Beweis für unsere Sünden und die daraus folgende Reue inspirierten das ganze Volk, sich wieder mit G-tt zu vereinen und in Zukunft Fallstricken aus dem Weg zu gehen. Deshalb hatten wir das Recht, die Tora nicht nur zu empfangen, sondern auch mit G-tt und mit ihr zu leben.

    ——–

    Purim sameach, Ari! Auch Dir, liebe Aurore, einen fröhlichen Tag bis morgen Abend und darüber hinaus. Ohne besonderen Grund, einfach so. 🙂

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    • Demarchieren, mein Wort der Woche 😈

      In den Sechzigern war eine Demarche fast das Selbe wie noch unter Bismarck: Erst Demarche, dann Kanonenboot vor die Küste.
      Heut gilt das wohl wieder aufgewärmte Wort Demarche wohl als protzig klingendes Synonym für ’ne schriftliche Bitte.
      Rührend: Die Saudisten werden seit Zweitausendirgendwann gebeten, sich doch bitte an die Menschenrechte zu halten, während sie das aus islamizistischen Gründen a) nicht können, b) nichtmal wollen, und es c) ohnehin verlachen, was der satanische Westen immer mit diesen gottlosen Menschenrechten hat.

      Ergebnis:
      Man thematisiert und demarchiert heut von neun bis fünf und schwadroniert dann am nächsten Tag vor der Presse davon, wieviel Müh‘ man sich seit vorgestern immer so gibt.

      P.S.
      Schum, ma chère, Du wirst hier gelesen!, Du wirst hier verschlungen!, also Deine Texte 🙂 , dass es Dir saj gesugt.
      Ich fahre nur grad von A nach B, wenn ich nicht nach C unterwegs bin und zwischendurch (und währenddessen) fast immer arbeite.
      Und Aurorula düst derzeit wohl dauernd von D nach E und nach F und arbeitet G und H, aber ich hörte, dass sie sehr gern wieder mehr Zeit hätte 🙂

      „…Kaum einen Monat nach der Übergabe der Zehn Gebote, während das Echo der Offenbarung am Sinai noch nicht verhallt ist, haben sich einige Juden aufgelehnt…“
      Haben sie? Die Zehn Gebote sind eine einzige, unerhörte Auflehnung gegen die götzendienerische, sklavenhaltende Welt, gegen jeden status quo, gegen das Fatum, gegen die grassierende Selbstüberschätzung und gegen jede bis dato bekannte Gesellschafts- und Herrschaftsordnung, nicht?
      Also haben sich da ein paar Jiddn eher nicht aufgelehnt, indem sie das goldene Kalb gebaut hatten, sondern sie haben die Auflehung abgelehnt und wollten mit dem alten status quo weitermachen: Sie wünschten sich ein prolongiertes Sklavendasein unter den äpyptischen Götzendienern und ein weiteres Sklavendasein unter diesen Götzen selbst (die Hathor, Kuhgöttin, die die Tojre ironisch als shiny Glitzerkalb sieht. Wie heißt Kalb auf Iwriss, sowas wie tembele-a-talmidikess?)

      Das heißt, diese paar Jiddn haben sich von der jüdischen Allgemeinauflehnung absentiert und wollten Untertanen bleiben wie die pharaonischen Ägypter.
      Als a Jid ist man aber kein Untertan never-ever. Darum geht’s heute: Es ist Purim!

      Haman hat die Lose geworfen, das war sein pervertierter Freiheitsakt. Es ging ihm beim Losewerfen um Maßlosigkeit, also nicht um Freiheit, weil bloß um die technische Frage, wann bringen wir die Juden um?, jetzt oder im nächsten Monat, oder übermorgen nach dem Frühstück, oder wenn’s regnet?
      Insofern war auch die Wannseekonferenz eine Art Losewerfen der technisierten, industriellen Moderne. Haman tat’s ca. 450 v.d.Z., die Deutschen taten’s 1941.

      Zurück zu Haman und seinem Losewerfen: Dolle Auffassung von Freiheit, das. Seine einzige. Weiter wusste er nichts von Freiheit. Er war amalekitisch davon besessen, alle Anderen zu zwingen, vor ihm selber zu knieen. Dieses Sich-Niederwerfen: Das Verhalten des Sklaven, und auch derjenige, vor dem sich da niedergeworfen wird, bleibt Teil des Sklavensystems.
      Weswegen sich a Jid vor niemandem niederwirft, nicht einmal vor Ho’Schejm, denn der hat die Sklaverei abgeschafft. Für alle.

      Wenn es überhaupt Auflehnung gibt: Dann ist das die Auflehnung schlechthin, nicht? Bis heut hassen die Amalekiter (die die Natur vergötzen, resp. das, was sie dafür halten) dafür die Jiddn und wollen sie vernichten.

      Ein Gast-Rebbe sagte mir gestern Abend (er sprach Iwriss, ich rejdete Jidisch, wir verstanden uns fein), dass Haman dauernd da ist, er sei in Teheran!, und ich sagte, Abbas ist auch noch da!, er nickte, ich nickte, und das isses.

      Was wird zu Purimbeginn am Abend gemacht: Der Chasan singt mit Hochton „Haman!“ in seinem Text, und die Jiddn vollführen dann großen Lärm und freuen sich, dass Haman kurz- und kleingemacht worden ist. Von uns selbst.

      Die Estherrolle ist a) ein zutiefst zionistischer, zutiefst moderner Text, nicht?, obgleich zweieinhalbtausend Jahre alt, und b) lässt sich dieser Text mit Leichtigkeit auf jede andere, kleine, gefährdete Gruppe übertragen. Das heißt, Ho’Schejm (der in der Estherrolle kein Mal genannt wird, es ist ein säkularer Text) will Leute, ob nun Jiddn oder nicht, die darauf bestehen, dass dieses Sich-Niederwerfen und diese Massaker und diese Perfidie aufzuhören haben.

      Was muss man mit jenen machen, die weiter das Sich-Niederwerfen, die Massaker und die Perfidie tun: Nebbich!, wer Gnade oder Bündnisabsichten mit den Gnadenlosen hat, der liefert bald selber die Mitfühlenden ans Messer.

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      • „Was muss man mit jenen machen, die weiter das Sich-Niederwerfen, die Massaker und die Perfidie tun?“
        Ich würde sagen: Zurück zu den Sechzigern, nicht? „Erst Demarche, dann Kanonenboot vor die Küste.“

        Zum Sich-Niederwerfen gibt es beim Propheten Ezechiel (6. Jahrhundert v. u. Z., babylonisches Exil) einen Satz, der mir damals in Frankreich nicht aufgefallen ist. Natürlich nicht. Was macht ein 16-18-Jähriger mitten in einer freien Welt mit so einem Satz?
        Wirft sich Jecheskel ha-Nawi, von einer Himmelsvision überwältigt, mit dem Gesicht zu Boden. Da hört er eine Stimme, die zu ihm spricht.

        ויאמר אלי בן אדם עמוד על רגליך ואדבר אותָך. (יחזקאל ב, א)

        Wa-jómer eláj Ben Adam amód al Raglécha wa-adabér otách.

        [Und (die Stimme) sagte zu mir: Mensch, stell dich auf die Füße, und ich werde mit dir reden. (Ezechiel 2, 1)]

        Es ist die Stimme von Haschem, der ihm den Auftrag geben wird, die mitvertriebenen Juden wachzurütteln. In den ersten 6 Jahren vor der Zerstörung des ersten Tempels (1. Churban) wird Jecheskel in Bawel die Verfehlungen geißeln, die zum Verlust der Heimat geführt haben; in den 16 Jahren nach dem Churban wird er Am Jisrael trösten und die Hoffnung auf Rückkehr nähren.

        „Ben Adam amód al Raglécha wa-adabér otách“ ‒ Steh erst mal aufrecht, Ben Adam, dann werde ich mit dir reden: Klingt wie eine Stellungnahme zu der muslimischen Gebethaltung, wie?

        Ja, bin gerade nach J gedüst. Unglaublich, wie’s Jecheskel 2400 Jahre danach schafft, den Leser hineinzuziehen in seinen Seelenstrudel, so dass man um den eigenen Verstand bangt. Es ist eine Reise ans Ende der Nacht: Kot, Blut, Sex, Tod, und über Allem: G’tt. Oder über Allem: die Kraft der Sprache und ihre Schönheit.
        Kein Wunder, dass Voltaire auch unabhängig von seinem Judenhass von dieser stürmischen Poesie überfordert war. Poesie war nicht seine Stärke.
        Aber auch diejenigen, deren Stärke Poesie ist, würden heute noch zögern, sich selbst so rückhaltlos auszuliefern; oder wenn sie es täten, danach um die Folgen bangen.
        Jecheskel wagt es und bleibt dabei moralisch unbefleckt. Es ist nichts, wofür er sich schämen müsste. „Ben Adam“, nennt ihn Haschem die ganze Zeit. Das ist er: Mensch, aus Menschenstoff. Sein Name, Jecheskel, kommt im ganzen Buch nur zwei Mal vor.

        Zu der zionistischen Esther-Rolle (ach, wunderbar!) später, ja?

        Gut Schabbes Dir und den Deinen, Ari.

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        • Ho’Schejms Aufforderung würd‘ ich ja gern so übersetzen 🙂 :

          „Menschenskind!, Jecheskelleben!, nimm gefälligst Haltung an, wenn ich mit dir rede.
          – Hahaa. War a Chochmess, mehr an Eizess. Was liegst du da so rum, mein junger Padawan?, wie redet es sich wohl, wenn man mim‘ Gesicht im Staube liegt?, Jeeez!, was machst du da bloß heut wieder!, jetzt reiß dich mal zusammen und rede mit mir, haste mir nix zu sagen?, also ich hab dir eppes zu sagen, und zwar wie immer verflixt viel, du Kindskopf. Und ich will hören, was du dazu so meinst. Nu stell dich mal nicht an, sondern stell dich hin wie a normaler Jid. Ich lieg schließlich auch nicht im Staub und huste, wenn ich mit dir reden will, gell.“

          A gutten Schabbes-Samstag-Wochenende allerseits 😀

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        • A machaje die Übersetzung, Ari. Dir müsste man die Übersetzung des ganzen Tanach anvertrauen. Allerdings würde ich als Verlagsdirektor, sagen wir des Zürcher Morascha-Verlags, darum bitten, aus einem Satz nicht 11 Sätze herauszuziehen. Wer soll einen über 10.000 Seiten schweren Tanach noch schleppen können? Denk an die alten Jidn, hab rachmones! C’est jeune et ça ne pense pas.
          Und dann: „gell“? Hm. Bist Du sicher, dass Haschem – also, ich weiß nicht.
          Aber das davor: „Ich lieg schließlich auch nicht im Staub und huste, wenn ich mit dir reden will“, das muss unbedingt hin. Das nimmt einem vor Kühnheit den Atem. Einfach groß.

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        • 😳 Ah danke.
          Den Tanach zu übersetzen würd ich mir nie-nie-nie! zutrauen, dafür muss einer ein paarmal die sieben Jahre Tojre-Talmudstudium hinter sich haben 🙂 , dann darf er mit der ersten Zeile anfangen. Die braucht dann sieben Jahre, bis siegrad so einigermaßen was wird.

          Und ob Ho’Schejm selbst erwähnen würde, dass er a) nicht liege und b) nicht huste? Jemand könnte ihn falsch verstehen und denken, er könne liegen oder husten. Vielleicht kann er es, aber wie, können wir unmöglich wissen, nicht?

          Zuzutrauen wär’s ihm, dass er sich aus lauter Freundlichkeit und Zuwendung gegenüber dem Jecheskel-HaNawi zwei in menschlichen Begriffen fassbare Eigenschaften gibt. Weil er weiß, dass Jecheskel weiß, dass er (Ho’Schejm) alle menschlichen Eigenschaften so verkörpert, dass er jenseits allen Denkbaren und jenseits-jenseits von aller physischen Verkörperung ist.

          – Und jetzt schreib ich glattweg was über Ho’Schejm 😳 , das sollte ich nicht tun, er möge es mir verzeihen, sofern.

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    • *auch liest*, während ich mich mühe, dem Karoshi aus dem Weg zu gehen.
      Ich habe ja wie ich schon geschrieben habe zwei Jobs. Und bei beiden geht es seit Anfang des Jahres so richtig rund: in der Entwicklung für die chemische Industrie gibt es seit einem plötzlichen tragischen Todesfall und der Frühverrentung einer anderen Kollegin mehr zu tun für alle; und in der Apotheke bekommt eine Kollegin ein Kind – was ein sehr schöner Anlass ist (: , aber nebenher auch heißt daß sie keine Nachtschichten mehr machen kann – und dann rollt eh noch die Grippewelle, also mehr Arbeit und weniger die sie machen können.

      Trotzdem lese ich immer gerne – nur zurückschreiben wird schwierig, weil ich etwas schreiben wollte das nicht nur schnell ein flotter Vierzeiler hingeworfen ist. Zu dem Seelenklau-Thema zum Beispiel möchte ich mir gerne eine Stunde Zeit nehmen etwas ausführliches zu formulieren.

      Purim sameach Euch beiden (fast schon zu spät) und schöne Feiertage! 😀

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      • Halt durch, chère Aurore, und sei’s nur, um nach Rückkehr aus Z zu Gnewát Nefaschót, zum Seelenklau, hier was zu schreiben! (*denkt an eigenes Vergnügen zuletzt*) Bin richtig gespannt, weißt Du.
        Karoshi – um Himmels willen. Sei gesund, bitte! Deinetwegen, für die Deinen und für uns.
        Schönes Wochenende mit winzig wenig oder am besten ohne Arbeit!

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  21. Haschem sei „jenseits-jenseits von aller physischen Verkörperung“:
    Das hat Maimonides, der Rambam, in seinen 13 Grundsätzen (Ikarim) so festgehalten. Aber wie sagte unser Raw einmal im Unterricht? Kamen nicht geringere Rabunim und haben widersprochen: „So sah das der Rambam. Wir sehen das anders“.
    Kein Grund, eine Kissenschlacht zu beginnen.

    Aber zurück zu der zionistischen Esther-Rolle (Megilát Estér, Megille):
    Wisst Ihr, warum man die Megille zwei Mal liest, am Abend und am Morgen? Zum Zeichen, dass sich die Geschichte wiederholen kann…

    Aber ich wollte was anderes erzählen. Megilat Ester sei ist ein säkularer Text, schreibt Ari. Weil Haschem nicht ausdrücklich erwähnt wird? Aber Anspielungen darf man verstehen, ja?

    – Wie viele Kapitel enthält Megilat Ester? 10: Haschems Zahl (R. Duvschani dixit).

    – Wie Ari weiß, ist „Ha-Makom“ („der Ort“) ein Synonym für „Ha-Schem“ („der Name“). Spricht man von G’tt, so kann man das eine ebenso gut sagen wie das andere, auch wenn „Haschem“ häufiger vorkommt. Und was lässt Mordechai seiner Nichte Esther bestellen, die sich nicht traut, ungerufen vor dem König zu erscheinen:

    כי אִם הַחֲרֵש תַחֲרִישִי בָעֵת הזאת רווח והצלה יעמוד ליהודים מִמָקום אחר וגו‘ (אסתר ד, יד)

    Ki im hacharésch tacharíschi ba-Et ha-sot Réwach we-Hazalá jaamód la-Jehudim mi-Makom achér…

    [Denn wenn du in dieser Zeit schweigst, so wird den Juden von einem anderen Ort her Freiheit und Rettung erstehen… (Das Buch Esther 4, 14)]

    -Jetzt das Wichtigste:
    Auf Haschems Verborgenheit weist schon der Name „Estér“ hin. Und zwar führen Chasal „Ester“ auf das Verb histir (lehastir): „verbergen“, „verstecken“ zurück.
    haster ist die Grundform von histir (lehastir); astir: 1. Person im Futur: ich werde verbergen.

    אֶסְתֵר הַמַלכַה
    הִסתיר (לְהַסתִיר)
    הַסתֵר
    אַסתִיר

    Jetzt habt Ihr alle Elemente zusammen, um zu folgen.

    Was sagt Haschem im letzten Tora-Buch, Deuteronomium?

    וְאָנוכי הַסתֵר אַסתִיר פַני ביום ההוא על כל הָרָעָה אשר עשה כי פנה אל אלהים אחרים. (דברים לא, יח)

    We-anochi hastér astír Panáj ba-Jom ha-hu al kol ha-Raá aschér assá ki faná el Elohim acherim.

    [Ich aber werde mein Antlitz verbergen an jenem Tage ob all dem Bösen, das es (dies Volk) verübt, weil es sich zu fremden Göttern hingewandt. (Deu 31, 18; Zunz)]

    Fragt die Gmara (Massechet/Traktat Cholin, Blatt 139 a), ob Königin Esther in der Tora (im engen Sinn: Pentateuch) vorkommt. Die Antwort: Ja, und zwar in den Worten: we-anochi hastér astír Panáj – ich werde mein Antlitz verbergen.
    Dazu Raschi: Zu Esthers Zeiten gab es Antlitz-Verbergung (Hestér Panim), und das Volk erlitt viele und böse Leiden (Zarot – zores).

    (Hestér oder Hastará, Substantive: Versteck; das Verstecken, das Verbergen)

    Dieses Hester Panim (auch: Hastarat Panim) ist eine ernste Sache. Fragt welchen Frommen Ihr wollt, was sich der Kadosch-baruch-hu bei der Schoa gedacht hat, wo Er genau war, als seine Kinder zu Schanden wurden. Die immer selbe Antwort: Hastarat Panim, Antlitz-Verbergung. Es gibt nichts zu verstehen: Sein Gesicht war verhüllt, uns abgewandt. „Wie eine Wolke vor der Sonne“, sagt Raw Ehrenberg.

    Die Antwort kann böse machen, nicht?

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    • Habe mich neulich mit zwei Orthodoxen lang unterhalten, ma chère, und die waren orthodox, also vraiment-vraiment le juste extrème de l’extrème qui se croit le milieu du milieu 🙂 , dagegen bin ich völlig religionslos, absolut gojisch, strohblond, Fußballfan, Partygänger, Erzsünder und esse Schweinebraten mit Krabbensoße und Käs‘ überbacken schon vorm Frühstück.

      Wir saßen dorten im Heim eines der Orthodoxen (ein Ssofer), und es war (comment dirais-je?) orthodox. Wir rejdetn ojf jidisch, und es war nicht 2015, es war 1715. Der andere Gast (ein Bald-Rebbe) sagte, nur auf Ho’Schejm komme es an, egal wann, egal wo. Ich sagte, und die Zahal? Er sagte, die ist ein Wunder, und das macht nur Ho’Schejm, er macht Alles. Ich habe ihn nicht gefragt, wo Ho’Schejm in der Zeit der Schoah gewesen ist.
      Keiner kann es erklären, nicht?
      Weil jeder Versuch einer Erklärung ihm Eigenschaften zumisst oder Erwartungen an ihn stellt.
      Wir wissen einfach nicht genug, behaupte ich, um eine Erklärung zu wagen. Welche Erklärung auch immer. Raw Ehrenbergs Bild mit der Sonne hinter den Wolken?, das ist Naturgesetz, die Erde hat einen Wasserhaushalt. Sonnenschein und Wolkenwetter haben Parameter, sind berechenbar, erforschbar, haben ihren Sinn. Die Schoah hatte nichts dergleichen.

      Also bin ich mir Agnostiker… indem ich die Mitzwojss halte, so es eben geht. Boruch Ho’Schejm geht das.
      Ferner bietet die Tojre Lösungen mit Ho’Schejm und ohne Ho’Schejm an, nicht? Was Du über Esthers Namen und die Verhülltheit des Angesichtes schreibst, ist zwar wunderbar (!), aber ein Indiz. Die andere Lesart sagt, dass Esther ein persischer Name ist (sie war ja persisch assimiliert!, war Perserin jüdischer Herkunft und eine Individualistin galore, die klug abwägen konnte und unverheiratermaßen mit dem persischen König schlief, weil sie ihn mochte und weil er wohl Hilfe brauchte), und sie hieß Hadassah.

      Die Zehn sei Ho’Schejms Zahl – alle Zahlen sind die seinigen, oder keine. Kapiteleinteilungen lassen sich einteilen 🙂 , keine Kapiteleinteilung muss so sein, wie sie dasteht. Der masoretische Text ist fortlaufend, nicht?

      Megillat-Esther ist ein überaus großartiger Text, weil’s da um die Entscheidung Einzelner geht, damit die Unseren überleben, Viertel-Andeutungen inbegriffen. Auch in Kafkas Geschichten lässt sich der gesamte Talmud hineinlesen, und er steckt dann drin. Andererseits stecken nur Kafkas ureigene Nöte und Bilder darin. Oder im Schir-HaSchirim (Hohelied) stecken die Schöpfung und Ho’Schejm und das ganze Universum, und gleichzeitig ist es ’nur‘ ein Gedicht eines Liebenden über seine Liebste.
      Echo: Schejn wi di lewone, lichtik wi die schtern 🙂

      A gutte woch.

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      • P.S.
        „So sah das der Rambam. Wir sehen das anders“.
        Ein zutiefst guter Satz, der.

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        • P.P.S.

          „כי אִם הַחֲרֵש תַחֲרִישִי בָעֵת הזאת רווח והצלה יעמוד ליהודים מִמָקום אחר וגו’ (אסתר ד, יד)

          [Denn wenn du in dieser Zeit schweigst, so wird den Juden von einem anderen Ort her Freiheit und Rettung erstehen… (Das Buch Esther 4, 14)]“

          So sagt Mordechai, der Weise und Rebbe, der alles im Griff hat. ‚Türlich sagt er das – es ist vernünftig, und es lässt eine (spekulative) Lösung offen, die von einem anderen Ort (Ha-Makom), von dem vielleicht etwas kommt.

          Säkulare Lesart: Mordechai redet als er selbst, er spricht Rollenprosa, er sagt der Hadassah, was er denkt (denken will), um ihr den Rücken zu stärken.
          Bester Grund immer&überall, um was zu sagen.

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        • P.P.P.S.
          Und Mordechai ist ein ironischer Name, nicht?, bedeutet „Marduk lebt“, ein hebräischerAusruf babylonischer Jiddn, denen irgendwas am Götzen Marduk (Marodach) gefiel.
          Vielleicht, weil Marduk als literarisches Bild begann, mit der Vielgötterei und der Verwirrung aufzuräumen. Oder weil er die Schicksalstafeln besaß, in denen der Bau der Weilt stehen sollte. Oder weil er gegen Mummi-Tiamat gekämpft und nach dem Kampf was Sinnvolles gebaut hat. Oder weil er eine Erinnerung an die Sumerer ist

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  22. Chouette, viel Stoff da!

    1) Zur Tojre und ihren Lesarten:
    Das ist es ja, wovon einem bei Tojre-Lernen der Kopf schwindelt; dass sie schiw’im Panim hat, 70 Lesarten – mindestens. Das mag mit fehlender Punktuierung zusammenhängen ‒ sie hat nichts außer Punkten und auch die sind nachträglich hinzugefügt worden ‒, aber am meisten hat es mit der Vexierhaftigkeit des Hebräischen zu tun. Darüber hat kürzlich Shmuel Trigano ein Buch geschrieben: L’Hébreu, une philosophie, Editions Hermann, 2014.

    Shmuel Trigano (Information Juive n° 437-Novembre 2014) :
    Dans ce livre-ci, il s’agit de déceler et révéler la cohérence secrète de l’univers mental et noétique hébraïque, du paysage de l’intellect où germent les idées de cette pensée, de la pensée à l’état zéro avant même qu’elle ne produise théories et doctrines. C’est ce que j’appelle la « pensée des pensées ». Et cette pensée est en puissance dans la langue hébraïque qui n’est pas seulement un instrument au service des idées mais, en elle même, un univers de pensée, une compréhension de l’univers, de la matière, de l’existence, des actions dans le monde, etc. Toute langue est singulière et porte un monde ; celui que porte l’hébreu atteint son expression la plus parfaite dans le texte biblique. Ce dernier résonne de façon extraordinaire quand il se reflète dans la structure de l’hébreu et aucune traduction ne pourra répercuter son écho.

    Mach Dir bitte nur klar, was sich aus dem Umstand machen lässt, dass „Olam“ etwa sowohl „Welt“ wie auch „Ewigkeit“ bedeutet.

    le- Olam: für immer
    le-Olam lo: niemals

    עולם
    לעולם

    Die Verben aus dieser Wurzel: neelam: verschwinden, verborgen sein (hitalem mi-: nicht beachten, ignorieren; heelim: verheimlichen)

    נֶעְלַם (להעלם)
    התעלם
    העלים

    Dazu das gleich klingende Verb mit Alef: neelam: verstummen; Élem Stummheit

    נֶאֱלַם (להאלם)
    אֵלֶם

    Dawar: „Sache“ und „Wort“, etc.

    Zu der Sprache kommt hinzu, was du selbst bist. Wie sagt Resch Lakisch zu:

    כי לא דבר רֵק הוא מכם כי הוא חייכם וגו‘. (דברים לב, מז)

    Ki lo Dawár rek hu mikém ki hu Chajechém

    [Denn es ist euch kein leeres Wort, sondern es ist euer Leben … (Deut 32, 47; Zunz)]

    « La Torah n’est pas vide, car elle est votre vie » : Quelque soit le verset que vous étudiez, quelque soit la paracha qui se présente à vous, ce n’est pas vide ; et si c’est vide, c’est parce que vous n’avez pas assez mis de vous-même.

    [Die Tojre ist nicht leer denn sie ist euer Leben: Welchen pussik (Vers) du auch lernst, mit welcher parsche du dich auch beschäftigst, das ist nicht leer; und wenn’s leer ist, so deshalb, weil du nicht genug von dir hineingelegt hast. (Zit. n. R. Daniel Epstein, AKADEM-Vortrag)]

    Ich kenne zumindest keinen anderen Text, der seit Tausenden von Jahren jeder Generation alles gibt, was sie intellektuell und emotional zum Leben braucht. Wie lange kann man von „Faust“ oder von der Odyssee leben?

    2) Jetzt zu Esther bzw. Hadassa, wie sie auch in der Megille einmal genannt wird.
    Du beziehst Dich auf die bibelkritische Lesart, eins der 70 Tora-Gesichter, oder wie Trigano sagen würde: das 71. Pan.
    Sicher: Hinter „Esther“ und „Mordechai“ mögen den Namen nach die Götter Astarte und Marduk stecken, wobei „Hadassa“ (von Hadáss, Myrte) der einzige originär-hebräische Name wäre. Très bien.

    Interessanter an den Ausführungen zu Hestér Panim bzw. Hastarat Panim (Verbergung Seines Angesichts) finde ich den Widerspruch, den Raschi zu überspielen versucht.

    Schau: Hestér Panim steht für eine Zeit, in der sich Haschem von der Welt absentiert, uns dem Bösen ausliefert, ja? Wie in der Schoa. Nur: Was uns die Megille erzählt, die wunderbare Errettung des jüdischen Volkes dank Königin Esther, ist genau das Gegenteil davon. Den Juden, die nach dem Aufruf von Koresch (Kyrus) im persischen Reich verblieben sind, geschieht die Enthüllung Seines Angesichts. Haschem est là, et bien là. Ester steht paradoxerweise für Hitgalut Panim, Aufdeckung des Angesichts.
    Raschi versucht zu harmonieren, was nicht zu harmonieren ist: Zu Esthers Zeiten, schreibt er, gab es Hestér Panim und das Volk erlitt viele zores. Also 1933-1945 hätten wir gerne die gleichen zores gehabt, nicht?

    Schawua tow, gute Woche Allen.

    Aurore, bitte bedenke neben vielem anderen, dass Deine Kollegen nichts davon haben, wenn Du wegen Erschöpfung ausfällst oder Fehler machst. Sei gesund, Große.

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    • Entdecke eben Dein P.P.P.S.: les grands esprits se rencontrent, wie? Wobei Du das Alles saftiger ausdrückst. Möchte auch sein. Ich mag Dich schließlich nicht ohne Grund.
      Bonne semaine, cher.

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  23. Grade lese ich es:
    Blogger in arabischen Staaten leben gefährlich!

    Todesurteil nach Facebook-Eintrag

    Der Blogger und Fotograf Soheil Arabi wurde vom Iran für Facebook-Einträge zuerst gefoltert um von ihm ein Geständnis zu bekommen den Islam beleidigt zu haben – und anschließend(?) zum Tode verurteilt.

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    • Ja, Aurorula. Angesichts solcher Nachrichten nimmt sich die Beschäftigung mit eigenen Angelegenheiten ‒ auch mit Tora als ureigenster Angelegenheit ‒, wie eine Flucht vor der Wirklichkeit aus. Aber was ist das für eine Wirklichkeit, die keine Handhabe gibt, die keinen Henkel zum Anfassen hat?

      Gestern kurz vor Zu-Bett-Gehen hat mich noch diese Nachricht erwischt:

      Mail Online, 02.03.2015:
      Isis ‚fed murdered kidnap victim to his own mother after she travelled to their headquarters and demanded to see him‘

      – Yasir Abdulla from West Yorkshire travelled to Iraq to fight against ISIS
      – Decided to go after they came within miles of his home village in Kurdistan
      – Joined hundreds of other Kurdish forces trying to stop spread of ISIS
      – Told how one woman went to Mosul to secure release of her kidnapped son
      – He says the ISIS fighters first offered her tea and a meal of meat and rice
      – But when she demanded to see her son, the extremists began to laugh
      – They told her they had murdered her son, chopped him up and fed him to her

      http://www.dailymail.co.uk/news/article-2975200/Isis-fed-murdered-kidnap-victim-mother-travelled-headquarters-demanded-him.html

      Ich hätte besser getan, den Computer vorher auszuschalten. Was soll man sagen? Mir stieg nur ein Schma Israel auf, dann nichts mehr, dann vage Erinnerungen an Homer: Thyestes gibt seinem Bruder und Rivalen Atreus die eigenen Kinder, also Atreus‘ Kinder und Thyestes‘ Neffen, in geschlachtetem und gekochtem Zustand zu essen. Atreus war der Vater Agamemnons, wenn Dir das was sagt. Nein, Agamemnon lag nicht auf dem Teller.
      Solches Zeug fällt einem ein, wenn ihm nichts mehr einfällt.

      Iran und ISIS sind nicht verschiedene Welten, sondern zwei Aspekte einer Wirklichkeit, die der französische lieutenant colonel Jean-François Cerisier in seinem Buch « Guerre à l’Occident, la Guerre en Occident » (Krieg dem Abendland, Krieg im Abendland) „système islamique“ nennt. Das ist nicht einfach Diktatur. Das ist der Abgrund. Das ist das, wogegen ein Teil der Menschheit seit über 12.000 Jahren so etwas wie Zivilisation aufzubauen versucht.

      Habe vor etwa einer Woche unserem Gerd Buurmann die Übersetzung eines relativ kurzen, aber lichtvollen Artikels von Prof. Sami Aldeeb (MEMRI/français, 27.02.2015) für TiN angeboten. Schade, dass er nicht antwortet.

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  24. Wisst Ihr was? Ich poste den Artikel hier. So haben mindestens zwei Andere was davon. (Hier nur die deutsche Fassung. Ari kann ja zum Original überwechseln):

    http://www.memri.fr/2015/02/27/sami-aldeeb-le-monde-musulman-se-divise-entre-bons-et-mauvais-musulmans-les-bons-appliquent-le-coran-et-la-charia-tandis-que-les-mauvais-luttent-avec-li/

    Die „Guten“ und die „Schlechten“

    Sami Aldeeb: Die muslimische Welt besteht aus „guten“ und „schlechten“ Muslimen; die guten setzen Koran und Scharia um, während die schlechten mit der Unhaltbarkeit ihrer Lage hadern.

    In einer Reihe von Video-Interviews für sein Blog: « Savoir ou se faire avoir » (Wissen oder belogen werden) setzt sich der Schweizer Palästinenser, Universitätsprofessor und christliche Koran-Übersetzer Sami Aldeeb mit den guten und den schlechten Muslimen auseinander; und zwar behauptet Sami Aldeeb, dass keine zeitgenössische Richtung sich an die Kritik der zwei Säulen des Islams aus dem 7. Jahrhundert heranwage. Auszüge:

    Gemeinsamer Nenner aller muslimischen Länder ist der Bezug auf zwei verabsolutierte und nicht kritisierbare Größen: den heiliggesprochenen Koran und das idealisierte Vorbild Mohammed. Doch die Muslime teilen sich in zwei Glaubenskategorien auf: in die „guten“ und die „schlechten“.

    Die „guten“ Muslime

    – befolgen den (von Allah diktierten, also vollkommenen) Koran wörtlich, ohne auch nur ein Komma daran zu ändern, da jede Kritik als Gotteslästerung gilt und mit abschreckenden Sanktionen versehen ist;
    – nahmen so genau wie möglich die Taten des legendären Mohammed nach, dessen Leben bei Androhung der nämlichen Schrecken (wovon die Aktualität einige Beispiele liefert) ebenso über jeder Kritik zu stehen hat.
    – Die „guten“ Muslime entscheiden sich für die umfassende Anwendung des muslimischen Scharia-Rechts und für die Gesamtheit seiner mittelalterlichen Strafen (Verstümmelungen, Enthauptungen, Steinigungen, Sklaverei, usw.)

    Die „schlechten“ Muslime

    – befolgen nur lückenhaft die Koran-Vorschriften und die gerüchteweise überlieferten Handlungen Mohammeds.
    – Die „schlechten“ Muslime wenden das sogenannte arabische Recht an, eine Mischung aus unvollständiger Scharia und westlich geprägtem Recht.

    Die mörderischen Konflikte unter Muslimen lassen sich im Licht dieser groben Einteilung folgendermaßen deuten:

    – Die „Guten“ werfen den „Schlechten“ gotteslästerliche Nachlässigkeit und Glaubenslauheit vor.
    – Die „Schlechten“ befinden sich in einem Zustand von Ungereimtheit und Widersprüchlichkeit, da sie einerseits verpflichtet sind, dem Koran und Mohammed buchstäbliche Treue zu leisten, andererseits außerstande sind, alle Voraussetzungen und Folgen auf sich zu nehmen. Sie behaupten von sich, sie wären Muslime, und versuchen dabei das Schlimmste zurückzuweisen, das mit dem Glaubensinhalt nun mal untrennbar verbunden ist.

    Wie soll man Freiheiten einfordern, die im Gegensatz zu den „göttlichen“ Grundlehren stehen? Wie soll man eine Vorstellung von Rechtsgleichheit für Nichtmuslime und Frauen entwickeln? Wie soll man Achtung für Atheisten und von sich Verschiedene einführen? Die armselig vorgebrachte Argumentation greift zu Leugnungen und Unwahrheiten: „Das ist nicht der Islam“ oder „Der Terrorismus entstellt den Islam“.

    In Unkenntnis der Bezüge der muslimischen Denkweise meinen die ethnozentrischen Westler, dass der orientalische Kurs zwischen rechts/links oder Diktatur/Demokratie pendle. Tatsächlich wechselt in muslimischen Ländern die Macht von den „guten“ Muslimen (Islamischer Staat, Iran, Arabien, Libyen, Al-Qaida, Somalia, Nigeria) zu den „schlechten“ (allen anderen, mehr oder weniger pragmatischen arabischen Diktaturen) und umgekehrt. Das findet sich in der unglücklichen Gesamtgeschichte des politischen Islams wieder (Andalusien, Iran, Pakistan, Irak, Syrien, usw.).

    Der „gute“, „reinste“ Islam wird niemals sterben, zumindest solange, wie solche heilig genannte Texte (Koran) und solches Menschenvorbild (Mohammed) unberührbar bleiben, zu groß ist die Gefahr des physischen Todes (in den islamischen Musterstaaten) oder des sozialen Todes (in den sog. gemäßigten Islamstaaten).

    Keine zur Zeit wahrnehmbare Richtung wagt sich an die Herausarbeitung einer Kritik dieser zwei Säulen des Islams aus dem 7. Jahrhundert heran.

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  25. Zwar lautet unser Thema immer noch Raif Badawi, doch möchte ich paar Worte zu den Israel-Wahlen am nächsten Dienstag schreiben. Von diesen Wahlen hängt doch ab, ob Israel den versprochenen Atomschlag der iranischen Regierung passiv abwarten oder präventiv handeln wird. An Günter Grass Adresse: Präventiv heißt nicht: mit atomarem Erstschlag, sondern mit Zerstörung der bedrohlichen Produktionsstätten. Wie der Iran darauf reagieren wird, steht auf einem anderen Blatt.
    Nicht nur mir macht die finanziell von Amerika und Europa unterstützte Linke in Israel Sorge. Zur Stunde ist ein Sieg des sogenannten zionistischen Lagers (Herzog + Livni) nicht ausgeschlossen, wobei „zionistisch“ ein Etikettenschwindel ist. Die Leute sind so zionistisch wie ich islamophil bin.

    Ein Passus in einem Artikel von Daniel Horowitz (26.01.2015): « Les Juifs et la gauche » ‒ Die Juden und die Linke ‒, hilft vielleicht, die Frage nach dem jüdischen Selbsthass zu beantwortet:

    « Il y en Israël une gauche qui peine à s’imposer dans le paysage politique. Certains sont tellement démunis face à la désaffection de l’opinion publique à leur égard qu’ils se tournent vers l’étranger pour y trouver une écoute attentionnée. C’est ainsi que faute de faire valoir son point de vue au parlement israélien, l’intelligentsia de gauche se tourne vers ses semblables en Europe afin que ceux-ci poussent leurs gouvernements à faire pression sur Israël, ceci sans tenir compte du sentiment de la majorité des Israéliens.

    Cette attitude est doublement indigne : d’abord parce que personne n’a le droit d’appeler à la rescousse l’étranger alors qu’il y a une démocratie crédible qui représente les forces vives de la nation ; ensuite parce que bien que ces intellectuels soient souvent de bonne foi, ils n’ont pas conscience que leurs équivalents à travers le monde sont tout, sauf des amis des Juifs. »

    [Es gibt in Israel eine Linke, die Mühe hat, sich in der politischen Landschaft zu behaupten. Einigen setzt die Kühle der öffentlichen Meinung derart zu, dass sie sich an das Ausland wenden, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Weil es ihr also nicht gelingt, ihren Standpunkt im israelischen Parlament durchzusetzen, wendet sich die linke Intelligentsia an ihre Gesinnungsgenossen in Europa, damit diese ihre Regierungen veranlassen, Druck auf Israel auszuüben, und zwar ohne dabei auf die Empfindung der Mehrheit der Israelis Rücksicht zu nehmen.
    Diese Haltung ist doppelt unwürdig: erstens weil niemand das Recht hat, das Ausland um Hilfe zu rufen, solange eine glaubwürdige Demokratie die lebendigen Kräfte der Nation vertritt; zweitens weil diese oft gutgläubigen Intellektuellen sich nicht bewusst machen, dass die Gleichgesinnten weltweit alles Mögliche sind, nur keine Judenfreunde.]
    http://danielhorowitz.com/blog/

    Geht es zu weit zu vermuten, dass die linken Israelis mehr als alle Anderen an der Antipathie der Weltöffentlichkeit gegen Israel leiden? Sie müssen keine Selbsthasser sein, ‒ Horowitz meint sogar, sie wüssten nicht, was sie tun ‒, aber die Frage nach ihrem Motiv eröffnet eine Hypothese über den jüdischen Selbsthass, der mich öfter beschäftigt: Was man jüdischen Selbsthass nennt, hat nichts mit Hass zu tun, sondern mit Liebe. Ein Shlomo Sand kann so wenig ohne Liebe auskommen, dass er für die Liebe der Judenhasser bereit ist, die eigene Großmutter zur Schlachtbank zu führen.

    Ihr versteht: Nicht Hass ist das Stichwort, sondern Liebe. Linke geben sich untereinander mehr Bestätigung und Wärme als Rechte, nicht? Dahin will also der liebesbedürftige Jude. Dazu braucht er nur seine jüdische Identität abzustreifen. Dass es mit der Liebe letzten Endes nicht klappen wird, das weiß er noch nicht; dass er wie ein Benutzter und Weggeworfener dastehen wird.

    Warum das so ist? Darauf hat Joseph Carlebach, genau: Oberrabbiner Dr. Joseph Zwi Carlebach (1883-1942) eine gewagte Antwort: Weil Haschem Assimilation nicht will.

    Zwar klappt Assimilation eine Weile ganz gut, so gut dass das jüdische Volk um seinen Bestand zu bangen beginnt, wie jetzt in Amerika und in Europa, aber unversehens ist Schluss damit: Sie kommen rechtzeitig, die Nazis und die Moslems, um den Blutverlust zu stoppen. Wirklich. Indem sie Blut vergießen, wirken sie für die Fortdauer des jüdischen Volkes; indem sie Assimilation außer Reichweite stellen, betätigen sie sich wie Instrumente von Haschem.

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  26. Kennt Ihr Joseph Carlebach? Er war nach Darstellung von Miriam Gillis-Carlebach (Bar-Ilan-Universität) „eine der markantesten Persönlichkeiten des religiösen Judentums in Deutschland – Vertreter von „Tora im Derech Eretz“, von jüdischer Geistlichkeit und Weltlichkeit. Er fungierte als letzter Oberrabbiner der Gemeinde Hamburg-Altona, sowie als einer der letzten orthodoxen Rabbiner in Deutschland überhaupt.“
    Ari könnte von ihm gehört haben. Weiter heißt es:

    „Im Frühjahr 1942, kurz nach seiner Deportation, wurde er auf brutale Weise ermordet und mit ihm – seine Frau Lotte, geb. Preuss, die drei jüngsten Töchter, Ruth, Noemi und Sara und die meisten Mitglieder seiner Gemeinde.“

    Von ihm lese ich z. Z. parallel zu Jecheskel das Buch Die drei großen Propheten – Jesajas, Jirmija und Jecheskel, Verlag Morascha, Zürich 1994 (2. Nachdruck). Das Buch ist 1932/33 nach einer Vortragsreihe entstanden, die der Rebbe „vor Hunderten Menschen aus allen Kreisen, Juden und auch Nichtjuden, wöchentlich in einem der großen Hörsäle der Hamburger Universität“ gehalten hat (Israelit, Nr. 41, 5. 10. 1932).

    Das alles erzähle ich, um einen gewaltigen Text einzuführen, den Carlebach im Jecheskel-Kapitel zu den Folgen der Tempelzerstörung (-586) schreibt.
    Zitat:

    Es regte sich im Volke jene Tendenz der Selbstaufgabe, der Würdelosigkeit, jenes Verächtliche, was wir mit dem Worte Assimilationssucht brandmarken und verachten. Eine Sklavengesinnung, die ihre seelische Eigenart wie ein Gewand abwirft, statt allen Gewalten zum Trotz sie zu pflegen und zu erhalten, gewann Boden im Volke. Sie galt es vor allem zu bekämpfen. „Was euch in den Sinn kommt, das wird nie und nimmer sein, daß ihr denkt: wir wollen sein, wie die Völker, wie die an die Länder gebundenen Menschenfamilien, die Holz und Stein anbeten. So wahr Ich lebendiger Gott bin, spricht mein Herr, werde Ich sonst mit starker Hand, mit ausgestrecktem Arm und sich ergießendem Zorne über euch Herrscher bleiben … Ich werde euch unter das Zepter bringen, hinein in den Zwang des Bundes.“ (Ezech. 20, 32-33; 37)

    וְהָעולָה על רוחכם היו לא תהיה אשר אתם אומרים נהיה כַגוים כמשפחות הארצות לשרת עץ וָאָבן. חי אני נאום ה‘ אלקים אם לא ביד חזקה ובזרוע נטוייה ובְחֵמה שפוכה אמלוך עליכם. (יחזקאל כ, לב-לג)
    וְהַעֲברתי אתכם תחת הַשָבט והבאתי אתכם במסורת הברית. (יחזקאל כ, לז)

    We-ha’olá al Ruchachém hajó lo tihejé aschér atém omrim nihejé cha-Gojim ke-Mischpechot ha-Arazot lescharét Ez wa-Ewen. Chaj ani Ne’úm Adoschem Elokim im lo be-Jad chasaká u-wi-Sróa netujá u-we-Chemá emlóch alechém.
    We-haawárti etchém táchat ha-Scháwet we-hewéti etchém be-Massóret ha-Brit.

    Judesein, das ist der Sinn dieser Worte, ist Schicksalsnotwendigkeit, wir haben nicht die bange Wahl zwischen Gott und der Welt, zwischen Zugehörigkeit zum Judentum oder Assimilation, wir sind prädestiniert in unserer nationalen Aufgabe, können sie niemals abstreifen; wir haben nur die Wahl, ob wir aus freiwollender Selbstbestimmung oder unter der Last des brutalen Schicksalszwanges erliegend unserer Mission dienen wollen. Die tiefste Aussage über das Verhältnis von Sein und Sollen in uns, von Freiheit und Notwendigkeit unserer Seinsbestimmung ward uns in jener Stunde der Zermalmung, der Galuthgewißheit, der Losreißung von Boden und Heimat und Milieu, unsrer Hinausstoßung ins Nichts, ins Ungefähr, in den Strudel der vernichtenden heidnischen Umwelt, aus Prophetenmund zu Teil: Judesein ist ein Soll und Muß zugleich, solch ein Muß wie Atmen, wie Leben und Sterben, es ist unentrinnbar, Schicksal. Wie wir ohne unsere Mitentscheidung ins Leben treten, treten wir auch als Juden ins Leben; wie wir das Leben als solches als ein Gegebenes hinzunehmen haben, so auch unser Judesein als ein absolutes Faktum. In einer Epoche, in der wir die Nachkommen der Marannen von 1492 zum Judentum zurückkehren sehen, wo unserer assimilationsfreudigen Gegenwart eine erniedrigende Ablehnung voll Haß und Schmähung zuteil wird, erkennen wir ehrfürchtig die Sprache des Allwissenden in diesem prophetischen Wort. (S. 94 ff.)

    Zitat Ende.

    Die meisten Israelis, nicht nur die Linken, möchten sicher ein Volk sein wie jedes andere – un peuple sans histoire, sozusagen ‒, aber das geht nicht. Wir sehen ja, dass es nicht geht. Man lässt sie nicht.

    Hm. Da frage ich mich natürlich, was Aurore von all dem halten mag. Du wirst uns nicht feind, nee?
    Bonne journée!

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    • Diesen gelungenen Kommentar habe ich jetzt erst entdeckt, als ich meinen Blog wieder so langsam aus dem Sommerschlaf wecken wollte 😀
      Und zur Antwort auf die Frage: ich bleibe hier (an Eurer Seite, sozusagen) und habe nicht vor ideell woandershin zu gehen.

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  27. Wie man eine Flaschenpost ins Meer wirft…

    Könnt Ihr Euch an den französisch-algerischen Filmregisseur Jean-Pierre Lledo erinnern? Er hat 2014 der Gymnasiallehrerin Christine Tasin beigestanden, die von einem Gericht in Belfort verurteilt worden ist, weil sie am Rande einer Demo zu bedrohlichen Muslimen gesagt hatte: « L‘islam est une saloperie » – der Islam ist eine Sauerei. Das war sehr mutig von ihm, sich öffentlich zu einer Verfemten zu bekennen.
    Den Islam kennt er allerdings zu gut, um zu glauben, dass Schweigen dagegen hilft: 1993 hat er infolge der großangelegten Ermordung von Intellektuellen aus Algerien fliehen müssen.

    Jetzt zeigt er wieder Mut in Huffingtonpost (19.03.2015), indem er sich nach den Knesset-Wahlen öffentlich zu Israel bekennt.
    Schon der Titel: « Israël: un tel peuple, je l‘aime! » ‒ Israel: ein solches Volk liebe ich.

    « Un tel peuple capable de tant de discernement, de lucidité et de tant de dignité, un tel peuple doté d’un profond sens de la VIE, dans un contexte moyen-oriental arabe et musulman miné par la mort et sa glorification, un tel peuple refusant donc de se prêter à des expériences suicidaires, un tel peuple je le souhaite à bien des pays!

    Un tel peuple, je l’aime! »

    [Ein solches Volk mit so viel Unterscheidungsvermögen, Klarsicht und Würde, ein solches Volk, das mit einem so tiefen Sinn für LEBEN begabt ist, und dies in einer arabischen und muslimischen Nahost-Umwelt, die vom Tod und seiner Verherrlichung angegangen ist, ein solches Volk, das also Selbstmordexperimente ablehnt, ein solches Volk wünsche ich vielen anderen Ländern.
    Ein solches Volk liebe ich.]

    http://www.huffingtonpost.fr/jean-pierre-lledo/israel-victoire-netanyahu_b_6901712.html

    Für Lledos Karriere sehe ich schwarz.

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