A Weng s’Kalender, Tür 3

Zwei Texte über Weihnachten von Leuten die es feiern, obwohl sie keine Christen sind.

Was mir in dem Zusammenhang auffiel war das lockere Fehlen des saisonalen, protestantischen Kulturmarxismusses der soviele Texte von Christen durchzieht, die umgekehrt Weihnachten lieber nicht feiern würden, obwohl sie Christen sind, und denen es-ist-doch-nur-ein-Lichterfest-Entspannung zu wünschen wäre. In den nächsten Tagen schreibe ich vielleicht einen Text zum saisonalen Kulturmarxismus, jetzt aber die beiden versprochenen Texte.

Einmal von Lily Brett:

In New York ist Weihnachten ein Tag wie jeder andere. Dieser Feiertag, der in vielen Teilen der Welt Stille bedeutet, bringt New York nicht aus dem Tritt.
Mir gefällt es, daß Geschäfte geöffnet bleiben, daß Cafes einen willkommen heißen. Ich mag es nicht, wenn Städte die Bürgersteige hochklappen und alle Läden geschlossen haben. Ich komme mir immereinsam und verlassen vor, wenn die Straßen menschenleer sind und man kein frisches Brot, keine frische Milch kaufen kann.
Das ist irrational. Ich trinke keine Milch und bemühe mich, meinen Brotkonsu niedrig zu halten.
Aber aus irgendeinem Grund brauche ich das Wissen, daß alles geöffnet hat. Ich mag das geschäftsmäßige der Großstädte. Ich mag das Gefühl, daß alles funktioniert. Daß alles weitergeht.
Wenn der Postbote Post austrägt und die Geschäfte ihre Waren verkaufen, bin ich glücklich. Ichempfinde mich als Teil all dieser Geschäftigkeit. Ohne sie komme ich mir merkwürdig leer vor.
Daß ich keine Christin, sondern Jüdin bin, trägt natürlich dazu bei, daß ich mich zu Weihnachten ausgeschlossen fühle. Wäre ich damit beschäftigt, Weihnachtsgebräuche und -rituale zu begehen, käme ich mir selbstverständlich weniger einsamund abgesondert vor. Aber das erklärt noch nicht alles.
Andere Feiertage wie Silvester bewirken die gleichen Empfindungen in mir. Eine stille Welt gefällt mir nicht. Egal warum. Normale Alltagsaktivitäten haben etwas beruhigendes für mich. New York ist nie still. Nicht einmal zu Weihnachten.
Weihnachtsgrüße können in dieser Stadt ein politisches Minenfeld sein. New Yorker wissen das. Sie sind nicht so naiv zu glauben, jedermann wäre Christ. Frohe Weihnachten ist kein typischer New Yorker Gruß.
Von der neutralen Grußformel schöne Feiertage wird zur Weihnachtszeit in New York ausgiebig Gebrauch gemacht. Und das ist auch richtig in einer Stadt, in der Buddhisten, Hindus, Sikhs, Moslems, Juden und nichtchristliche Afroamerikaner große Teile der Bevölkerung ausmachen. In Australien, wo ich aufgewachsen bin, sagten alle: Frohe Weihnachten. Juden sagten zu Chinesen: Frohe Weihnachten. Manche Juden wünschten sich untereinander frohe Weihnachten. Niemand wollte abseits stehen.
In Australien schien das ganze Land wegen Weihnachten zuzumachen – wegen eines Feiertags, der dort im Hochsommer bei oftmals erstickender Hitze stattfindet.
Um wettzumachen, daß die Feierlichkeiten in der falschen Jahreszeit begangen wurden, besprühten die Australier ihre Fensterscheiben und ihre Weihnachtsbäume mit einer klebrigen weißen Substanz aus der Dose, die Schnee simulieren sollte.
In meiner Kindheit säumten die Straßen der Vororte Häuser mit weißbesprühten Fenstern. Rundliche Weihnachtsmänner läuteten an Straßenecken und in der Innenstadt ihre Glöckchen oder verteilten Geschenke in den Kaufhäusern.
Sie waren in dicke, gepolsterte, rotweiße Kostüme mit Handschuhen, Hut und Stiefeln gekleidet. Manche wirkten erhitzt und gestreßt, als liefen sie Gefahr, einem Hitzschlag zu erliegen.
Weihnachten ist in Australien eine ausgesprochen überhitzte Vorstellung. Die Leute sind zuhause damit beschäftigt, Truthühner, Hühner und Schinken zu braten und zu begießen. In heißen Küchen rühren sie Saucen, und bei Saunatemperaturen garen sie Plumpuddings.
Gegessen wird mittags, und was gegessen wird, ist keine Nouvelle Cuisine. Diese Festmahlzeiten bei Temperaturen von über dreißig Grad zu verdauen ist keine Kleinigkeit. Nach dem Weihnachtsessen bleibt vielen Australiern nichts anderes übrig, als verzweifelt nach einem Alka Selzer zu suchen.
Als Kind liebte ich Weihnachten. Wenn es unerträglich heiß war, fuhren meine Eltern mit mir an den Strand. Sie arbeiteten beide in der Fabrik und hatten Weihnachten immer frei.
Wir fuhren am späten Nachmittag zum Strand und blieben dort bis zum Abend. Meine Mutter nahm ein Picknick mit, das aus Gurkensalat, roten Rüben, Kopfsalat, harten Eiern, Schnitzel und Wassermelone bestand.
Wenn ich Glück hatte, kam ein Eisverkäufer vorbei, und ich bekam ein Eis am Stiel mit Schokoladenglasur. Das war das Beste an Weihnachten.

Und einmal von Miriam Collée (die von Shanghai und ihren Nachbarn, den Zhangs, erzählt):

Siebzig Prozent unserer Weihnachtsartikel stammen aus China. Mittlerweile haben die Chinesen selbst Gefallen am Christkind gefunden.
Eine bessere Waschmaschine könnten wir zu dem Preis nicht finden, schwärmte der Verkäufer im Elektromarkt: Aquastopp, Energiespartaste und noch eine Funktion, für die mein Chinesisch nicht ausreichte.
Er: „Kann singen.“ – Ich: „???“ – Er: „Klingt schön in den Ohren.“ – Ich kaufte das Ding. Zuhause entdeckte ich die dritte Funktion: Jeder Waschgang wird mit einem ohrenbetäubenden „Ding Ding Dang“ gefeiert. Zwölf Sekunden lang, beim Start und beim Ende. „Ding Ding Dang“ ist die chinesische Version von „Jingle Bells“. Seitdem ist bei uns jeden Tag Weihnachten.
Chinesen lieben Weihnachten. Zwar sind nach offiziellen Angaben kaum zwei Prozent der Bevölkerung christlichen Glaubens, aber um Lichterketten und bunte Kugeln um Bäume zu binden, muß man bekanntlich nicht bibelfest sein. Der Weihnachtsmann, Anfang der 90er Jahre in China noch nahezu unbekannt, hat mit der Öffnung des Landes ähnlich schnell Einzug gehalten wie Coca-Cola und McDonald’s. Shanghaier tauschen ihre Hello-Kitty- und Mickey-Maus-Pyjamas, die sie übrigens gern auch tagsüber tragen, im Winter mit Vorliebe gegen Santa-Claus-Modelle. Kinder gehen mit Zipfelmützen zur Schule, und vor der Shoppingmall in unsrer Straße stand vergangenes Jahr gar ein lebensgroßer Weihnachtsmann auf blinkendem Plastikschlitten. Ihm waren zwei Plüschtiger vorgespannt, die praktischerweise gleich auf das chinesische Neujahrsfest und das Jahr des Tigers vorbereiten sollten. 2011 wird das Jahr des Hasen, vermutlich wachsen dem Mann nun lange. weiße Plüschohren.
Damit würde er in den Top Ten der Erniedrigten nicht einmal auf den vorderen Plätzen landen. Dort stehen nämlich die Kellnerinnen der Pizza-Hut-Restaurants, die Ende Oktober direkt aus den orangefarbenen Kürbis-Ganzkörperanzügen in rote Zipfelmützen und fellbesetzte Miniröcke springen mußten. Die Kolleginnen im Paulaner trifft es noch härter: Sie durften zwischendrin mit Hörnern auf dem Kopf und Gummieutern überm Dirndl auch noch Faschingsanfang feiern.
Frau Zhang von dem kleinen Delikatessladen an unserer Ecke, der Köstlichkeiten wie vakuumverpackte Hühnerfüße und Eselpenisse verkauft, trägt dagegen seit zwei Wochen einen goldenen Haarreifen mit wippenden Fühlern, an deren Spitzen zwei Engel blinken. Wenn ich ihr zuwinke, grüßt sie mit einem Knopfdruck hinterm Ohr zurück – und die Engel singen eine Elektroversion von Ping’An Ye („Stille Nacht“).
Das Land, das siebzig Prozent der weltweit gekauften Weihnachtsdekorationen herstellt, produziert nicht mehr nur für den Export. Als ich einem fahrenden Händler neulich eine Stiege Christbaumkugeln abkaufte („Neu im Sortiment!“), schlug auch Frau Zhang zu. Noch am selben Tag befestigte sie die Kugeln an der Eingangstür – „um die bösen Geister zu vertreiben“.
„Wir Chinesen feiern die Feste, wie sie fallen“, erklärte mir neulich Frau Zhangs 21-jährige Tochter, die sich Crispy nennt. So kamen zu den traditionellen chinesischen Frühlings- und Mondfesten in den vergangenen Jahren einfach einige lustige Partys aus dem Westen dazu: Valentinstag, Halloween und Weihnachten.
Unter jungen Chinesen sind West-Events schwer angesagt. Crispy empfiehlt für Heiligabend in Shanghai übrigens die Hip-Hop-Christmas-Party im „Bling“. Zehn Minuten vor Mitternacht brüllen dort alle den Countdown, dann prostet man sich zu und lässt sich mit Grüntee-Whiskey-Gemisch beim Würfelspielen vollaufen. Ein großer Spaß.
Von der Kommunistischen Partei wird so etwas mit gemischten Gefühlen geduldet. Zwar gilt das Christenfest weiterhin als „Kulturgut des Auslands“, weswegen Funktionäre angehalten sind, an keinen Veranstaltungen teilzunehmen, die unter dem Weihnachtsmotto stehen. Daß Chinas Führung dem zunehmenden Glitzerspektakel im Land dennoch nicht im Wege steht, hat vor allem einen Grund: es kurbelt den Konsum an, und der ist heiliger als alles andere.
Natürlich gehe sie mit ihren Freunden am 24. Dezember shoppen, bestätigt Crispy. Erst „romantisch essen“ in einer Pizza-Kette, dann ab in die Superbrand Mall. Weihnachten sei schließlich der Tag des Glücklichseins, und shoppen mache glücklich. So einfach ist das. Dann kramt sie eine Dose Glitzersprühschnee aus ihrer Tasche und zielt aufs Schaufenster. „MERREY CHRISMOS“ schreibt sie in großen Lettern auf die Scheibe, und darunter: „HAPPY JESUS“. „Und?“, fragt sie mich herausfordernd, „hao bu hao?“ Gut oder nicht gut? Ich recke meinen Daumen nach oben und frage vorsichtig nach, ob sie wisse, wer oder was Jesus sei. Ihre Antwort: „Klar weiß ich das: Euer Einkaufsgott.“

Nun hat Frau Collée beim Nacherzählen am Schluss doch noch a Bissl vom saisonalen Kulturmarxismus reingeschmuggelt, aber immerhin nicht viel. Wenn ich oben lese wie Lily Brett über den Wunsch „Frohe Weihnachten!“ an Nichtchristen denkt, erinnert mich das daran wie Forest Rain darüber denkt (das hatte ich rebloggerisiert): eine freundlich gemeinte Verwechslung.

Aber das erzählt man den möchtegernkulturmarxistischen Sprachgurus wahrscheinlich vergeblich.

Veröffentlicht am Dezember 3, 2017 in Kulturelles, Smalltalk und mit , getaggt. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 4 Kommentare.

  1. Das könnte aber, ohne den übrigen Kulturmarxismus, auch einfach deskriptiv sein, könnte es nicht? Crispie Zhang könnte in der Tat so gesagt haben…

    Und Marxismen sind nun mal in der Welt, und ein zu allergischer Umgang damit stressst nicht nur das Immunsystem und damit dessen Inhaber… es hat auch eine Dimension von Verbissenheit und stört die Leichtigkeit des Plauderns, tut sie nicht?

    Na, ich warte den Artikel ab und fahr jetzt mal zur Arbeit.

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  2. Da möchte man doch sofort shanghait werden!
    Hello-Kitty- und Micky-Maus-Schlafanzüge wollte doch jede*r schon immer.

    Gefällt 2 Personen

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